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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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antwortete nicht mehr oder sie ging im Brausen des Windes und Knarren des Holzes unter.
    Er wurde unvorsichtig. Ohne Rücksicht darauf, welche Bewegungen er mit dem Verschieben von Bruchholz auslöste, robbte er schneller voran. Als er ein Hindernis mit einigen Fausthieben beiseite schlug, stürzte über ihm ein weiterer Teil der Dachkonstruktion ein. Tristan hatte Glück. Außer ein paar Palmwedel, traf ihn nichts. Er kroch weiter, und endlich sah er ein buntes Tuch, einen Körper.
    »Tuila?« Er streckte die Hand nach ihr aus, griff in das schwarze Haar, und dann sah er ihr Gesicht. Es war Ivana, Tupus Frau. Sie war benommen, aber nicht ohnmächtig, und sie hielt die winzige Moana an sich gepresst, die überraschenderweise schlief.
    Für einen Augenblick war Tristan enttäuscht, dass es nicht Tuila war, die er gefunden hatte, denn dann hätte er wenigstens die Gewissheit gehabt, dass sie noch lebte. Doch für seine Sorgen hatte er jetzt keine Zeit; er musste Ivana und ihre Tochter hier herausholen.
    Er griff nach Moana, barg sie zwischen seinem Mantel und der Uniform, und robbte langsam rückwärts. Der
Säugling fing zu schreien an, was Ivana aus ihrer Benommenheit riss.
    »Moana?«, flüsterte sie und streckte schwach eine Hand nach ihr aus.
    »Ich komme gleich wieder und hole dich hier heraus«, sagte Tristan.
    »Tupu?«, fragte Ivana mit heiserer Stimme. »Bist du es?«
    »Nein, ich bin es, Tristan.«
    »Tristan«, murmelte sie, leckte sich die mit Sand verklebten Lippen und sank wieder in einen Dämmerzustand.
    Es kostete Tristan viel Mühe, aus der Ruine herauszukommen, denn der Rückweg war durch Balken versperrt. Ein paarmal rief er um Hilfe, doch der tosende Sturm, der Regen und die aufgeregt durcheinander schreienden Stimmen der Dorfbewohner übertönten seine Rufe. Hindernisse wegzustoßen wagte er nicht mehr, denn er dachte an das kleine, zerbrechliche Wesen unter seinem Mantel, und so quetschte er sich durch Lücken und kroch unter gewaltigen Anstrengungen weiter. Als er es schon fast geschafft hatte, hörte er endlich Tuilas Stimme.
    »Du bist gleich draußen«, sagte sie. »Noch eine Körperlänge.«
    »Bist du unverletzt?«, fragte er. Er konnte sie nicht sehen, denn dazu hätte er seinen Oberkörper drehen müssen, was nicht möglich war.
    »Ja, mach dir keine Sorgen. Aber dein Bein …«
    »Was ist damit.«
    Sie riss den verschmutzten weißen Stoff auf. »Du blutest«, sagte sie.
    »Ich spüre nichts.«
    »Ich rufe jemanden, der dich hier herauszieht.«
    »Nein, warte!« Er holte Moana aus seinem Mantel hervor und legte sie neben sich. »Wenn du dich streckst, Tuila, kommst du dann an sie heran?«

    Tuila kroch ein Stück in das Trümmerfeld hinein, er konnte ihre Hand auf seinem Schenkel spüren, und sogar jetzt in dieser Situation löste das eine kurze Erregung in ihm aus. Es tat ihm einfach gut, sie zu spüren und zu wissen, dass es ihr gut ging.
    »Ja, es geht«, rief sie. »Ich habe Moana.«
    »Gut, ich muss noch mal rein, Ivana holen. Sie liegt im hinteren linken Teil der Hütte.«
    »Wir werden von außen versuchen, dir irgendwie zu helfen. Hast du übrigens irgendwo meinen Vater gesehen?«
    Es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, Tuila über ihren Vater aufzuklären, fand Tristan. »Ja«, sagte er nur. »Ich habe ihn gesehen.« Dann schob er sich in Richtung Ivana.
    Diesmal ging es schneller, er kannte den Weg durch das Geflecht der Trümmer. Ivanas Zustand hatte sich nicht verändert. Sie murmelte unverständliches Zeug, zwischendurch rief sie Tupus Namen. Ihre Wange war aufgeschürft, am Arm reihten sich schwere, dunkle Blutergüsse wie Pestbeulen aneinander. Es war offensichtlich, dass Tristan sie nicht einfach durch die Ruine mit ihren Hunderten scharfer Kanten würde ziehen können. Abgesehen davon war er dazu auch nicht kräftig genug und hatte zu wenig Bewegungsspielraum.
    Er schlug mit der Faust gegen die Außenwand, und tatsächlich hörte er Tuila im nächsten Moment rufen: »Hier. Hier müssen wir durch.«
    Mit einer Axt bahnten sie sich ihren Weg zu Tristan und Ivana. Sie holten zuerst sie und dann ihn heraus.
    Als er aufstand, bemerkte er, dass er mit dem rechten Bein nicht auftreten konnte. Tuila stützte ihn. Ihr bis auf die Hüften nackter Körper war über und über mit Sand und Schlamm bedeckt, und die Haare klebten ihr im schmutzigen Gesicht und auf den Schultern.
    Inmitten des Gewirrs von Menschen und Naturgewalten,
streichelte er ihre Wange, ihren Hals, ihre Brust.

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