Der Duft der grünen Papaya
»Ich liebe dich«, sagte er und schluckte. »Ich muss dir aber etwas über deinen Vater sagen.«
Sie sah ihn an und lächelte in einer Mischung aus Trauer und Hilflosigkeit. »Ich weiß es inzwischen«, sagte sie. Und dann schmiegten sie sich aneinander.
Als der Orkan langsam weiterzog, war es längst Nacht geworden. Man versorgte die Verletzten, so gut es ging, und die Toten bahrte man im fono auf, dem Versammlungshaus. Außer Tuilas Vater waren noch ein weiterer Mann und eine Frau umgekommen, außerdem wurde ein junger Mann vermisst: Tupu.
»Er war nicht in Palauli, als der Sturm begann«, beruhigte Tuila ihre Mutter. »Sicher ist er irgendwo untergekommen, in einem Nachbardorf vielleicht.«
Der nächste Morgen leuchtete in seiner gewohnt klaren und milden Pracht, so als sei nichts gewesen, doch er gab auch rücksichtslos alle Schäden preis, die das Unwetter angerichtet hatte. Fast jede Hütte war beschädigt, vier fale waren sogar vollständig zerstört, ihre Dächer eingestürzt, die Stützpfeiler zerborsten. Stämme und Zweige übersäten die Straße in Palauli, und als man begann sie wegzuräumen, fand man erschlagene Hunde und Loris darunter.
»Sieh mal«, sagte Tuila zu Tristan und deutete auf einen der kleinen bunten Vögel. Er hatte sich einen Flügel gebrochen und zappelte ängstlich zwischen Ästen und Schlamm. Tuila hob ihn auf. »Wir müssen ihm helfen.«
Tristan nickte. Er war froh, dass Tuila sich von dem Schmerz über den Tod ihres Vaters ablenkte. Sie nahmen den Vogel mit zu der behelfsmäßigen Unterkunft, die sie aus einigen Ästen und Palmwedeln für die Familie gebaut hatten.
»Jetzt sieh sich das einer an«, zeterte Ivana, als sie ihre
Schwägerin mit dem Vogel sah. »Wir sterben hier, und sie kümmert sich um einen Vogel. Das ist deine Tochter, Vaonila.«
Tuilas Mutter schwieg dazu. Sie ging zum fono , wo sie Wache bei ihrem Mann halten wollte.
»Wie ich mich fühle, darum kümmert sich keiner«, schimpfte Ivana weiter. »Sind meine Verletzungen nicht wichtiger als die des Vogels?«
»Deine Blutergüsse sind bereits versorgt«, entgegnete Tuila ruhig. Sie war viel zu traurig, um zu streiten. Außerdem hatte sie Verständnis für Ivanas Gereiztheit. Ihre Schwägerin war stundenlang bei Todesgefahr eingeklemmt gewesen, ebenso ihr Kind. Und Tupu war noch immer nicht gekommen. Mittlerweile machten sie sich alle Sorgen.
Tuila half dem Vogel, so gut sie konnte, und legte ihn anschließend vorsichtig in eine grasgepolsterte Holzschale. Tristan nannte sie daraufhin »Vögelchen«, was ihr gefiel. Sie sah sich noch einmal seinen Fußknöchel an, den sie in der Nacht verbunden hatte. »Ich glaube, die Sehne ist angerissen. Du wirst dein Bein eine Weile schonen müssen.«
»Vor allem muss ich nach Salelologa zurück, in die Station. Dort werden jetzt jede Menge Hilfsanfragen eingehen.«
»Dafür hast du Leute.«
»Schon, aber jemand muss alles koordinieren.«
»Du hast wohl vergessen«, unterbrach sie ihn, »dass wir hier immer sehr gut zurechtkamen, auch bevor ihr papalagi aufgetaucht seid. Deine Polizisten sind Samoaner, sie wissen, was sie zu tun haben.«
»Ich habe Pflichten, Vögelchen, die kann ich nicht einfach von anderen erledigen lassen. Zum Beispiel muss ein Bericht nach Apia abgehen, die wollen dort wissen, wie stark es Savaii getroffen hat.«
»Susu mai , hör zu, ohne Pferd kannst du gar nichts. Und
hier hat niemand ein Pferd. Oder willst du, dass dich einer meiner Landsleute wie einen Sack nach Salelologa trägt?«
»Nein, natürlich nicht«, räumte er brummig ein. Er sah ein, dass er hier festsaß, bis der nächste Reiter vorbeikam. Zwei Stunden später war es dann so weit, und Tuila versprach ihm zum Abschied, so bald wie möglich nach Salelologa zu kommen.
Als die Sonne schon fast im Zenit stand, kam Tupu nach Palauli zurück. Tuila lief ihm entgegen und fiel ihm um den Hals vor Freude und Erleichterung, und auch er strahlte über das ganze Gesicht. Er war an seinem Lieblingsplatz im Wald gewesen, als der Orkan ihn überraschte, und da hatte er sich in einer kleinen Höhle verkrochen. Keinen Tropfen habe er abbekommen, erzählte er stolz und betonte diesen Punkt: »Nicht einen einzigen.«
Tatsächlich sah er frisch aus, der Körper eingeölt, die Muschelkette blitzend weiß, und ein Laubkranz wand sich um sein Haupt, alles in allem ein Triumphator.
Die Nachricht vom Tod seines Vaters machte ihn jedoch traurig, sosehr, dass er seine Frau nur halbherzig
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