Der Duft der grünen Papaya
begrüßte. Jedenfalls vermutete Tuila, dass das der Grund war.
»Du warst also in der Hütte eingeklemmt, ja, Ivana?«
»Viele Stunden lang. Ich habe Blutergüsse. Hier und hier.«
»Aber du bist herausgekommen.«
»Ja, man hat mich und Moana herausgeholt.«
»Das ist gut.«
Mehr wurde darüber nicht gesprochen. Tupu ging, um gemeinsam mit seiner Mutter Totenwache zu halten, und als er fort war, sagte Tuila zu ihrer Schwägerin: »Du hättest ihm sagen können, dass es Tristan war, der Moana und dir geholfen hat.«
»Habe ich das nicht?«, fragte Ivana mit gesenktem Blick.
»Nein, nicht ganz.«
»So? Na, das werdet ihr beiden ihm schon noch früh genug unter die Nase reiben.«
Tuila seufzte und schüttelte den Kopf. »Warum sollten wir wohl so etwas tun?«
»Um euch beliebt zu machen, warum sonst?«, erwiderte Ivana und grinste schief. »Er ist doch jetzt unser Familienoberhaupt.«
Seltsam, dachte Tuila. Daran hatte sie überhaupt noch nicht gedacht.
In den folgenden sieben Tagen, bis er Tuila wiedersah, spürte Tristan bereits etwas von dem Verhängnis, das sich über ihn legte wie die Schleier aus Sprühregen, die jetzt fast jeden Tag die Insel benetzten.
Am Anfang war es nur ein dumpfes Gefühl, das er leicht verdrängen konnte. Er war nicht zum Begräbnis von Tuilas Vater eingeladen worden, den man unweit des Dorfes auf einem mit armseligen Brettern umzäunten Friedhof bestattete. Obwohl es eine christliche Beerdigung war, wusste Tristan, dass die Samoaner heimlich auch Elemente ihrer ursprünglichen Naturreligion beibehielten und mit dem katholischen und protestantischen Ritus vermischten. Sie waren ja erst vor etwa zwanzig Jahren bekehrt worden, und der alte Glauben an Götter, Geister und Dämonen war noch stark genug, ihren Aberglauben lebendig zu halten. Einen Fremden, einen papalagi, ließen sie nur ungern an heiligen Zeremonien teilhaben. Tristan fand sich schnell damit ab.
Doch auch in den nächsten Tagen erhielt er keine Nachricht aus Palauli. Seine berittenen Streifen meldeten ihm, dass der Wiederaufbau dort gut vorankomme und dass auch das fale der Familie Valaisi fast schon wieder so aussehe wie vor dem Sturm. Natürlich konnte Tuila jetzt nicht zu ihm nach Salelologa kommen, und Tristan verstand, dass Tupu als neues Familienoberhaupt beweisen wollte,
dass er niemandes Hilfe brauche, um seine Familie zu versorgen, schon gar nicht die Hilfe eines papalagi . Aus Rücksicht darauf unterließ es Tristan auch, von sich aus Tuila und die Familie aufzusuchen. Aber eine Einladung zum gemeinsamen Abendessen oder einfach ein kurzer Gruß waren doch nicht zu viel verlangt! Er begann, sich ein wenig über Tupu zu ärgern.
Ablenkung von diesem Ärger hatte er allerdings genug. Das Polizeiboot war während des Orkans von den Wogen wie ein Spielzeug angehoben und gegen die Station geworfen worden. Tristan und seine Fita-Fita mussten neue Mauern ziehen, das Schiff reparieren und zu Wasser lassen, fünf ausgerissene Pferde wieder einfangen, die Straßen von umgestürzten Bäumen befreien, zwei deutschen Pflanzern bei deren Aufräumarbeiten in den Plantagen helfen … Es hatte die Insel schwer getroffen, und überall, nicht nur in Palauli, beerdigten die Menschen ihre zu Tode gekommenen Angehörigen. Auch darüber galt es, eine Statistik anzufertigen. Tristan kam all diesen Pflichten nach; er schonte sich nicht, arbeitete verbissen von früh bis spät, sprach nur das Notwendigste, und konnte sechs Tage nach dem Orkan die aus deutscher Sicht vollständige Wiederherstellung Savaiis nach Apia melden, was ihm ein schriftliches Lob des Gouverneurs einbrachte. Er legte diesen Brief wie ein beliebiges Schreiben zu den anderen Akten und verschwendete keinen Gedanken daran.
Von Tuila hatte er noch immer nichts gehört.
Am achten Tag endlich war es so weit.
Tristan saß in der Amtsstube, als aus dem Vorzimmer einer der Polizisten hereinkam, Haltung annahm und einen jener militärischen Grüße absolvierte, die – wie Tristan fand – an Samoanern unpassend und geradezu albern wirkten.
»Herr Leutnant, ich melde: Da ist jemand für Sie.«
»Wer ist es?«, fragte er routiniert. Täglich wollten ihn ein halbes Dutzend Samoaner wegen aller möglichen Dinge sprechen. Arbeiter waren mit der Bezahlung durch die Pflanzer unzufrieden, Dorfhäuptlinge beschwerten sich über schlechte Kaufverträge für ihre Produkte, Mütter wollten Kontakt zu den längst nach Deutschland zurückgekehrten Vätern ihrer
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