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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Kinder aufnehmen, und die Väter dieser Mütter versuchten sogar, Alimente für die besagten Kinder zu erhalten. Tristan hätte ihnen allen ein Formular in die Hand drücken und sie wegschicken können, aber er nahm sich die Zeit, die Probleme mit ihnen zu besprechen und gelegentlich auch einen Brief für sie aufzusetzen. Am Misserfolg ihrer Wünsche und Beschwerden allerdings, so wusste er, änderte das gar nichts, und er schämte sich jedesmal dafür.
    »Eine Frau«, antwortete der Polizist. »Mit einem Kind auf dem Arm.«
    Tristan rieb sich die Augen und seufzte. »Herein mit ihr«, sagte er und machte sich auf ein früh verblühtes, leidendes Mädchen gefasst, das seinen Heinrich, seinen August oder Maximilian aus Deutschland zurückbitten wollte, ohne zu wissen, wie dessen Nachname war und in welchem Ort in Deutschland er lebte.
    Doch herein kam eine hoch gewachsene junge Frau mit dünnen, harten Lippen und starken Wangenknochen, und sie sah alles andere als leidend aus.
    Tristan stand auf. »Ivana!« Er ging ihr entgegen und streckte die Hand zum Gruß aus, doch sie drehte sich halb von ihm weg. Er ignorierte ihre Geste, die er als scheue Zurückhaltung interpretierte, und kitzelte stattdessen die Wange der winzigen Moana, die auf Ivanas Armen lag.
    »Talofa. Geht es euch gut?«, fragte er.
    »Ja«, sagte sie.
    »Deine Verletzungen sind geheilt?«

    »Du siehst es ja.«
    »Ja, keine Blutergüsse mehr. Und Moana hat nicht einen Kratzer abbekommen.«
    Dazu schwieg sie, als sei es etwas Schlechtes, dass sie beide gesund waren.
    »Möchtest du dich setzen?«, fragte Tristan.
    Sie blickte den Stuhl verächtlich an, ohne sich zu rühren. »Wir haben den Alten begraben«, sagte sie.
    »Tuilas Vater?«
    »Er war auch Tupus Vater.«
    »Natürlich. Es ist nur – ich habe ihn selbstverständlich eher mit Tuila in Verbindung gebracht, weil Tuila und ich …«
    »Er war auch Tupus Vater«, wiederholte sie.
    Tristan räusperte sich. »Du hast Recht. Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt.«
    »Ja.«
    Bisher hatte er kaum mit Ivana zu tun gehabt. Nun musste er feststellen, dass sie offenbar einen sperrigen Charakter hatte – und nicht gerade dankbar war.
    »Tupu ist jetzt das Familienoberhaupt«, sagte sie.
    »Ich weiß. Ich würde ihm gerne gratulieren.«
    »Er möchte auch mit dir sprechen, das soll ich ausrichten.«
    »Gut. Dann werde ich nachher …«
    »Morgen«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Morgen, wenn die Sonne sich senkt, was ihr Nachmittag nennt.«
    Sie wandte sich um.
    »Tofa« , sagte er noch. »Auf Wiedersehen.« Doch Ivana ging einfach hinaus.
     
    Am nächsten Tag ritt Tristan zur vereinbarten Zeit nach Palauli, obwohl er in der letzten Nacht beschlossen hatte, etwas später, erst gegen Abend, dort einzutreffen. Denn
was hieß hier vereinbart! Ivana war unfreundlich zu ihm gewesen, sie hatte nicht gegrüßt und sich nicht verabschiedet, hatte ihm das Wort abgeschnitten oder im Mund verdreht, hatte nicht danke und bitte gesagt und ihm schließlich den Zeitpunkt des Treffens wie einen Hundeknochen hingeworfen. Tristan war immer bereit gewesen, sich samoanischen Bräuchen anzupassen, ja, sich ihnen sogar unterzuordnen, obwohl er durchaus die Macht zum Gegenteil gehabt hätte. Zu den samoanischen Bräuchen gehörten aber auch die Höflichkeit und die Dankbarkeit, und wenn er wie ein unmanierlicher Schuljunge herbeizitiert wurde – nebenbei auch noch von der Frau, der er vielleicht das Leben gerettet hatte –, dann konnte auch er seine anerzogene Höflichkeit vergessen.
    Doch am Morgen sah die Welt schon wieder anders aus. Schließlich konnte er nicht wissen, ob Ivana nicht aus eigenem Willen so ruppig zu ihm gewesen war, weiß der Himmel, warum! Und selbst wenn sie haargenau in Tupus Auftrag gehandelt hatte: Tupu war noch sehr jung, er war als Familienoberhaupt unerfahren und wollte allen beweisen, dass er dennoch ein starker Führer sein konnte. Er stand unter Druck, umso mehr, als seine Erniedrigung am Hafen von Apia allen noch in Erinnerung war. Außerdem war es sein gutes Recht, denjenigen, der sich für ein weibliches Familienmitglied interessierte, zu befragen. Tristan hatte Tuilas Vater beim ersten Treffen ein paar Zigarren mitgebracht und ein paar höfliche Worte mit ihm gewechselt, mehr brauchte es nicht, um die Bräuche einzuhalten und den freundlichen Alten geneigt zu stimmen. Tupu hatte nun die gleichen Pflichten und Rechte, auch wenn er jünger als seine Schwester und als Tristan war. Er

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