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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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mitbekommen«, sagte sie.

    »In unseren Breiten, so nah am Äquator, kommt der Tag schnell.«
    Evelyn ließ einen Augenblick verstreichen, dann fragte sie: »Was meinten Sie mit ›fort‹? Sie sagten, Tuila sei fortgewesen. Die Blüte, ihr heimliches Verschwinden … Heißt das, sie hat Tristan verlassen? Liegt sie deswegen nicht neben Tristan auf dem Friedhof der Europäer?«
    Ili seufzte. Sie rappelte sich vom Verandaboden hoch, ihr Blick schweifte über das Land. Es war ein für diese Jahreszeit normaler Morgen, heiß, feucht, windstill und doch kristallklar. Jede Einzelheit war deutlich zu erkennen. Der Himmel war noch blass, beinahe farblos, aber in Kürze schon würde er im prächtigsten Azur strahlen. Eine Wolkenkappe bedeckte den Mount Mafane und die übrigen Berge im Inselinneren. Hinter dem Haus warteten bereits die Vögel. Alles sah aus wie immer. Der mächtige Pulsschlag des Insellebens ging weiter und kümmerte sich nicht um die Gefahr, die Ilis Morgen verdunkelte.
    »Lassen Sie uns ein anderes Mal weiterreden, Evelyn. Ich muss mich umziehen und die Vögel füttern«, sagte Ili. »Und danach mache ich mich auf den Weg zur Fähre.«
    Evelyn drängte nicht weiter, obwohl sie fand, dass Ilis Erzählung an einem sehr ungünstigen Zeitpunkt aufhörte. »Sie wollen zur Fähre laufen ?«, fragte sie.
    »Nur bis zum Bus in Palauli. Eigentlich benutze ich ihn nicht gerne, denn er ist ungemütlich und schwankt wie ein Schiff bei Windstärke zehn. Aber mir bleibt nichts anderes übrig.«
    »Sie haben die ganze Nacht nicht geschlafen«, wandte Evelyn vorsichtig ein.
    Ili seufzte. »Ich müsste mich ausruhen, da haben Sie Recht, Evelyn. Aber ich kann es mir nicht leisten, auch nur einen Tag zu verlieren. Wissen Sie, in Apia gibt es einen Notar, der bisher alle juristischen Angelegenheiten meiner
Familie bearbeitet hat. Ich muss mit ihm sprechen, Auge in Auge. Er soll mir sagen, was ich gegen Moanas Vorhaben unternehmen kann.«
    Eigentlich hatte Evelyn sich aus gutem Grund vorgenommen, nicht in die Auseinandersetzung zwischen Ili und Moana einzugreifen. Aber sie sah ein, dass sie längst schon eingegriffen hatte und bereits viel zu viel wusste, um sich blind und taub zu stellen. Ilis Geschichte und die des Hauses ließ sie nicht los, und sie spürte, dass wenn sie Ili jetzt nicht unterstützte, sie sich das immer vorwerfen würde. Außerdem: Sie fühlte sich gut erholt nach dem Tiefpunkt gestern; den Wein vermisste sie überhaupt nicht. Die Aussicht, eine Aufgabe zu übernehmen und sich um jemanden zu kümmern, machte sie beinahe euphorisch.
    »Wenn Sie nichts dagegen haben, begleite ich Sie«, bot sie an.
    Ili blinzelte Evelyn dankbar zu. »Das müssen Sie nicht.«
    »Ich möchte aber«, beharrte Evelyn. »Und außerdem würde ich gerne jemanden anrufen.«
     
    Sie hatten Glück. Auf halbem Weg zum Bus kam ihnen Ben Opalani in seinem quietschenden Lieferwagen entgegen. Er hielt an und beugte sich aus dem Fenster, so dass sich die Brust unter seinem weißen T-Shirt wölbte.
    »Talofa , Ili!«, rief er. Evelyn, die er nicht kannte, begrüßte er mit einem kurzen Heben und Senken seines Arms und einem freundlichen Nicken. »Soll ich dich irgendwohin mitnehmen?«
    »Fährst du nicht in die andere Richtung?«
    »Ich wollte zu dir, um dich zu fragen, ob du noch eine Lieferung brauchst. Heute ist mein letzter Tag als Kaufmann.«
    Ili seufzte: »Ach, Ben, ich wünschte, ich könnte irgendetwas sagen oder tun, um dich umzustimmen.«

    Er schüttelte heftig den Kopf, so als wolle er eine Versuchung abwehren. »Der Vertrag des Amerikaners liegt schon bei mir zu Hause. Mit dem Geld kaufe ich mir ein fale in Salelologa. Weiß noch nicht, was ich danach machen werde, irgendetwas fällt mir schon ein. Vielleicht frage ich den Amerikaner, ob er mir eine Arbeit in seinem Hotel verschaffen kann. Als Lieferant vielleicht.« Er lachte, aber es hörte sich nicht fröhlich an.
    »Was ist nun?«, fragte er nach einem Augenblick peinlicher Stille. »Soll ich euch mitnehmen?«
    Ili stellte ihre Begleiterin kurz vor und setzte sich neben Ben; Evelyn nahm auf dem Notsitz hinter ihr Platz. Der Rest des Fahrerhauses war angefüllt mit Paketen und Säcken, die in der Hitze einen intensiven Duftstrauß von verschiedenen Aromen bildeten, den auch der Fahrtwind nicht milderte. Immer wieder streifte die Insassen ein Hauch von Limetten, grünen Bohnen oder Kohl.
    Ili erklärte Ben, was im Papaya-Palast vorgefallen war und weshalb sie nach Apia

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