Der Duft der grünen Papaya
fahren wollte. »Im Grunde ergeht es mir also genauso wie dir, mit dem Unterschied, dass ich es nicht will.«
Ben zuckte mit den Schultern. »Was willst du machen, Ili, das ist der Weltmarkt. Der fragt nicht danach, was du willst. Kleine Betriebe wie meiner haben keine Chance mehr. Bei dir liegt der Fall anders. Wenn du rechtzeitig dein ganzes Land genutzt hättest …«
»Und damit die halbe Insel in eine riesige Plantage verwandelt hätte? Die Vielfalt Savaiis zerstört hätte? Nein, danke.«
»Diese Freiheit hat man heute nicht mehr«, entgegnete Ben. »Wenn du selber nicht wächst, wirst du vom Weltmarkt überrollt, einfach so. Der fragt nicht danach, wie du dich dabei fühlst.«
»Wenn man dich hört, Ben, könnte man meinen, der
Weltmarkt sei ein außerirdisches Wesen, das die Erde überfällt.«
Ben lachte kurz auf, aber wieder hörte es sich nicht fröhlich an. »Gewissermaßen ist es so.«
»Er wird von Menschen gemacht, dieser Weltmarkt. Menschen haben ihn erfunden, und Menschen planen seine Zukunft.«
»Na und?«
»Wenn Menschen ihn steuern, können andere Menschen ihn umsteuern. Natürlich müssen wir alle uns bis zu einem gewissen Grad anpassen, das haben schon unsere Vorfahren und Ahnen gemacht, als die papalagi kamen, die Amerikaner, Briten, Deutschen und später die Neuseeländer. Und wir selbst haben uns auch angepasst. Hast du nicht Kaffee angebaut, als ›der Weltmarkt‹ es wollte? Und wie wird es dir gedankt? Akzeptieren wir nicht schon seit Jahren, dass unsere Bananen, Kaffeebohnen und Papayas, die wir aufwändig anpflanzen, pflegen und ernten, viel schlechter bezahlt werden als Schrauben, Radios und Telefone? Ich muss dir ehrlich sagen, Ben, dass ich es seltsam finde, dass auf dem Weltmarkt zufälligerweise alles, was wir produzieren, fast nichts kostet, während alles, was in Australien, Amerika und Europa produziert wird, viel kostet. Der Weltmarkt scheint mir ziemlich parteiisch zu sein, oder? Ich verweigere mich Änderungen oder Einschränkungen im Prinzip nicht. Nur wenn sie bedeuten, dass ich meine Heimat verliere oder nicht wiedererkenne, dann schon. Wer will mir das verübeln? Wer will einem Baum verübeln, dass er zornig ist auf den, der ihm die Wurzeln kappt? Ein Baum kann sich leider nicht wehren. Ich kann es. Und du könntest es auch.«
Sie schwiegen. Ili lehnte sich auf ihrem Sitz zurück und betrachtete die vorbeiziehenden Mangroven mit ihren gewaltigen, weit verzweigten Stämmen, während Ben den Blick auf die schnurgerade Straße richtete.
Evelyn kannte die Diskussion, die die beiden geführt hatten, von früher, wobei ihr allerdings Ilis Standpunkt neu war. Carsten war als Mitglied einer Großbank oft mit ähnlichen Problemen konfrontiert worden, doch er stand dabei auf der Seite des Weltmarkts. Er sah und berichtete die Dinge aus der Perspektive seiner Kunden, multinationaler Konzerne, die sich in einem permanenten Veränderungsprozess neuen Gegebenheiten anpassen mussten, um weiterhin Gewinne machen zu können. Ihr war Carstens Sichtweise stets einleuchtend erschienen, wobei sie sich allerdings nie näher mit dem Thema auseinander setzte. Keiner von ihnen ignorierte die Schwierigkeiten der so genannten unterentwickelten Länder, doch sie sahen die meisten Ursachen der Armut in den Ländern selbst. Regelmäßig, fast schon routiniert, spendeten sie für Hungerleidende, und Carsten hatte vor einem Jahr sogar vorgeschlagen, die Patenschaft für ein Kind aus Ecuador zu übernehmen. Doch Evelyn war nicht darauf eingegangen, wie sie auch sonst auf nichts mehr eingegangen war. Sie hatte wie in einem Vakuum gelebt, in dem die Welt ausgeschlossen war.
Jetzt saß sie neben zwei Menschen, die bald schon alles verlieren könnten, was ihr Leben lebenswert machte.
Ich weiß, wie diese Menschen sich fühlen, dachte sie plötzlich. Ich habe auch das Wichtigste in meinem Leben verloren.
Das kleine Café Pundt an der Beach Road lag geschützt von der Glut des Tages im wohltuenden Schatten der Kathedrale von Apia. Hier wartete Evelyn auf Ili. Der merkwürdige Name ging – laut einer Tafel neben dem Eingang – auf einen deutschen Postschiffkapitän der Kolonialzeit zurück, der in diesem Café, das damals noch Hafenkneipe genannt wurde, regelmäßig sein Seemannsgarn gesponnen hatte.
Heute war das Pundt ein Telefoncafé, von wo aus die Samoaner ihre Verwandten in Neuseeland anriefen. Es herrschte wenig Betrieb. Innen spielte man Billard, und auf der Veranda mit Blick auf
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