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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Brandung, die sanft über die vorgelagerten Riffe schäumte, hatte sie ihn nicht gehört. Sie trug ein langes, orangefarbenes Tuch, das wie ein letzter Sonnenstrahl vor der Dämmerung aufleuchtete, und dann erkannte er auch die rote Blüte hinter ihrem linken Ohr, das Zeichen der polynesischen Frauen, dass das Herz vergeben ist. In diesem Moment atmete er auf: Sie bekannte sich noch immer zu ihm.
    Ein Lächeln auf den Lippen, kniete er sich geräuschlos hinter sie in den Sand und umfasste mit beiden Händen ihre Schultern. Sie erschrak nicht. Sie kannte seinen Griff, seine feingliedrigen Hände und die leicht raue Haut. Er zog sie sacht zu Boden, so dass ihr Hinterkopf in seinem Schoß landete, und blickte von oben in ihre schwarzen Augen.
    Sie erwiderte sein Lächeln, aber im nächsten Moment sagte sie leise: »Du hast Nein gesagt.«
    »Ich habe gesagt, dass ich dich liebe und dass ich bei dir bleiben will.«
    »Und du hast Nein gesagt.«
    Er seufzte.
    »Es gibt ein Gesetz, Vögelchen.«
    »Nein, nicht«, bat sie. »Ich will nicht über Gesetze reden. Nicht jetzt.« Sie schloss die Augen, und beide sprachen nicht mehr, hörten auf das Murmeln, Rauschen und Gurgeln, das ewige Requiem der Brandung. Wie immer in Samoa brach der Abend schnell herein. Bei Sonnenuntergang
legte sich der letzte Wind, eine Zeit lang glühte der Himmel, dann verblasste er und leuchtete schließlich in jenem warmen tropischen Blau, das es nur hier gab. Unmerklich verwandelten sich die Dinge in Schatten. Tristan blickte um sich, und der Tag war vorüber.
    Irgendwann, eine Ewigkeit schien vergangen, flüsterte sie plötzlich: »Ein Mensch hat mehr Wurzeln als ein Baum. Diese Wurzeln geben Kraft, und wenn wir sie kappen, gehen wir zugrunde. Deine Wurzeln sind andere als meine, Tristan. Du kannst nicht tun, was die Welt, aus der du kommst, dir verbietet, und ich kann nicht tun, was meine Welt mir verbietet. Wir würden verdursten.«
    Er blickte noch immer auf sie hinab, aber er konnte ihre Augen durch die Nacht nicht mehr sehen. »Sage mir, dass du mich nicht mehr liebst, Vögelchen, und ich gehe sofort.«
    Sie schwieg.
    Als er mit den Händen über ihr Gesicht streichelte, spürte er die Feuchtigkeit der Tränen.
    »Halt mich fest«, flehte sie. »Ich will, dass du mich festhältst und nicht mehr loslässt. Liebe mich, Tristan. Du musst für uns beide lieben, hörst du? Du musst stärker sein als ich.«
    Er verstand nicht alles, was sie sagte, was sie meinte. Aber ihre Worte, die verzweifelt klangen, führten dazu, dass er Tuila fester hielt als sonst. Ihren Körper, den er bisher vorsichtig wie Porzellan behandelt hatte, umarmte er energisch, ja, beherrschend. Seine Küsse waren heftig und tief. Sie fuhr ihm durch die Haare, und sobald er seinen Griff um ihre Taille oder ihr Gesicht nur für einen Augenblick lockerte, zog sie ihn wieder an sich, um zu zeigen, dass sie es so wollte. Tuila überzog seine glatte Brust mit Küssen, und er stöhnte leise auf.
    Als er in sie eindrang, blickten sie sich an. Er war jetzt wieder behutsam, seine Augen glänzten.

    »Ou te alofa ia te oe« , flüsterte sie.
    Und er antwortete ihr mit den gleichen Worten. »Ich liebe dich auch, Tuila. Ich kann nicht mehr ohne dich sein.«
    Diese Nacht war wärmer und ewiger als sonst. Über alles fiel ein Schimmer milden Lichts, der Sand glitzerte wie Diamantstaub, und die Sterne vervielfältigten sich ins Unendliche. Später, im Meer, schwammen sie stumm Seite an Seite, umarmten und küssten sich, manchmal über der glatten Fläche des Wassers, manchmal eingetaucht in den Pazifik.
    Es war spät, als sie angenehm erschöpft wieder auf den Strand kamen. Längst war der Mond hinter den Baldachinen der Palmen verschwunden. Es war still, es rauschte kein Wind, und kein Vogel sang. Das Meer ruhte. Sie waren mit sich allein, und keiner von ihnen unterbrach das Schweigen der Natur, bis sie einschliefen.
     
    Als Tristan am nächsten Morgen aufwachte, lag auf dem Platz neben ihm, wo Tuila gelegen hatte, die rote Hibiskusblüte, die sie immer hinter ihrem linken Ohr trug. Sie selbst war fort.

5
    Samoa, November 2005
     
    Die ersten Sonnenstrahlen blitzten durch das Flechtwerk der Bougainvillea und überraschten Ili ebenso wie Evelyn.
    »Du liebe Güte«, stieß Ili hervor. »Ich habe überhaupt nicht bemerkt, wie viel Zeit vergangen ist. Über neunzig Jahre bin ich alt und fange an, die Nächte durchzumachen.«
    Evelyn schmunzelte. »Ich habe die Dämmerung gar nicht

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