Der Duft der grünen Papaya
hatte Anspruch darauf, gefragt zu werden, wenn es um Tuila ging.
Zu der Stunde also, als die Sonne genau zwischen Zenit und Horizont stand, traf Tristan in Palauli ein und trat an
die offene Pforte des fale . Tupu saß auf einer Matte in der Mitte des Hauses, dort, wo sein Vater immer gesessen hatte, und Ivana stand etwas abseits mit Moana auf dem Arm. Obwohl die beiden ihn schon längst gesehen hatten, klopfte Tristan an, und als er von Tupu das Zeichen zum Eintreten bekommen hatte, zog er seine Stiefel aus und ließ sich im Schneidersitz auf eine zweite Matte nieder, die schon für ihn bereitlag. Weder Tuila noch ihre Mutter Vaonila waren zu sehen.
»Wie geht es Vaonila?«, begann er höflich.
»Danke, sie hat sich erholt. Sie ist unterwegs für Tauschgeschäfte.«
Tupu war wesentlich freundlicher als Ivana am Tag zuvor, und Tristan war froh, dass er sich doch noch für Pünktlichkeit entschieden hatte.
Er erinnerte sich der samoanischen Vorliebe für übertriebenes Lob und sagte: »Du hast die Hütte wieder sehr schön aufgebaut, Tupu. Wirklich, sie sieht besser aus als vor dem Sturm.«
»Findest du?«
»Aber ja. Die Pfosten sind tiefer in der Erde, sehe ich. Und das Dach ist dicker.«
»Das stimmt. Ich habe die Dachpfosten aus anderem Holz geschlagen, damit sie künftigen Stürmen besser standhalten.«
»Das war nicht leicht, wie?«
»Nein, viel Arbeit.«
»Jetzt verstehe ich auch, warum ich eine ganze Woche nichts von euch gehört habe. Ich wunderte mich schon.«
Darauf erwiderte Tupu nichts.
Tristan holte ein paar Zigarren hervor. Zuerst hatte er vorgehabt, Tupu ein Klappmesser zu schenken, mit dem er hätte Pfeile und Speere schnitzen können, aber eine Waffe als Geschenk war Tristan dann doch ein wenig makaber
vorgekommen – schließlich hatte Tupu in der Vergangenheit gezeigt, dass er sie auch gegen Menschen einsetzte. Im Übrigen war ein Messer auch zu kostbar, denn die samoanische Tradition verlangte, dass der Geber mit etwas ähnlich Wertvollem beschenkt werden musste. Ein liebevoller, wenn auch manchmal anstrengender Brauch, der Fingerspitzengefühl erforderte.
Tristan wollte Tupu die Zigarren reichen, doch der lehnte ab.
»Nein, das kann ich nicht annehmen.«
»Warum nicht? Dein Vater konnte es auch.«
»Ich bin nicht mein Vater«, sagte Tupu. »Ich bin Tupu, und ich kann dein Geschenk nicht annehmen, weil ich weiß, wofür ich es bekommen soll. Du willst mir die Zigarren für Tuila geben.«
Tristan sog die feuchtheiße Luft des Nachmittags ein. »Ich würde Tuila nie kaufen wollen!«
»Aber du gibst mir einen Preis für sie, wie für eine Ware.«
»Die Zigarren sind eine Aufmerksamkeit dafür, dass ich in dein Haus kommen darf.«
Tupus Ton wurde schärfer. »Und du willst weswegen in mein Haus kommen? Wegen Tuila!«
»Ich würde niemals etwas von Tuila verlangen, das sie nicht ehrlichen Herzens will, und ich gebe ihr dasselbe, was sie mir gibt. Wir lieben uns. Das weißt du.«
»Ich weiß, dass du ein papalagi bist und dass du sie jederzeit verlassen kannst.«
»Das wird nicht passieren.«
»So? Man wird dich zurückrufen, über das Meer, wie alle papalagi , irgendwann.«
»Ich werde immer einen Weg für Tuila und mich finden, was auch passiert. Vielleicht bleibe ich ja für immer hier.«
»Dein Vater ist der Häuptling deiner Familie. Hast du ihm von deiner Liebe erzählt?«
Tristan zögerte. »Noch nicht. Ich hatte es kürzlich vor.«
»Wäre er jemals mit einer Heirat einverstanden?«
»Heirat?«, rief Tristan überrascht.
»Wenn du sie heiratest«, sagte Tupu grinsend, »bin ich mit eurer Liebe einverstanden.«
Tristan hatte selbst schon mit dem Gedanken gespielt, Tuila zu heiraten, zum ersten Mal, nachdem er sie kennen gelernt hatte, und noch einmal, während er im Sturm nach Palauli gelaufen war. Die Vorstellung, sie könnte in Gefahr sein und er wäre nicht bei ihr, hatte ihm Kräfte verliehen, von denen er nicht wusste, dass er sie besaß. Ihretwegen hatte er den Elementen getrotzt. Doch dem Gesetz zu trotzen, das war etwas völlig anderes. Der Gouverneur hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, wie weit die Liebe zu einer Einheimischen gehen durfte, ohne bestraft zu werden. Die Ehe zwischen Deutschen und Samoanern war nach einem Erlass aus dem Jahr 1913 verboten. Sollte er sich etwa dem Recht entgegenstellen, dem Gesetz Seiner Majestät? Seine Karriere wäre vom einen Tag auf den nächsten beendet, sein Ruf ruiniert, sein Name verpönt. Und seine Eltern? Sie
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