Der Duft der grünen Papaya
Kokosmilch.
»Mir ist nach etwas … Gehaltvollerem.«
»Gin, Whisky, Wodka …«
»Gin«, sagte sie.
Der Wirt drehte sich nickend um.
»Mit Wodka gemischt«, fügte sie hinzu.
Er nickte erneut.
»Oder, halt. Warten Sie bitte.«
Er warf ihr einen gelangweilten Blick zu.
»Entschuldigung. Ich … Ich habe es mir anders überlegt. Einfach Kokosmilch, bitte, wie vorher. Und ein Telefon – falls es möglich ist, von hier draußen ein Ferngespräch zu führen.«
Diesmal wartete er einen Augenblick, um sicherzugehen, dass ihre Entscheidung endgültig war, bevor er in der Bar verschwand.
Evelyn setzte sich wieder und versuchte, sich zu beruhigen, was ihr nur langsam gelang. Ihre Hände krampften sich in ihr T-Shirt. Sie hatte Angst vor dem Gespräch, das sie wieder mit der Welt, die sie hinter sich gelassen hatte, in Verbindung brächte.
Der Wirt hatte ihr zwischenzeitlich das Telefon gebracht, einen klobigen Apparat mit Wählscheibe, der bestimmt schon hunderttausendmal eine Nummernverbindung hergestellt hatte. Die Wahlprozedur dauerte ewig. Zahl für Zahl ratterte die Scheibe, danach knackte es fast eine Minute lang in der Leitung, bevor endlich ein schwaches Signal zu hören war, so als wolle man jemanden auf dem Mond anrufen. Während Evelyn wartete, spürte sie, wie es ihr schwerer und schwerer fiel, den Hörer in der Hand zu behalten. War es klug, sich, so kurz nach einem Anfall, dem Stress dieses Anrufs auszusetzen?
Aber ich habe Bianca versprochen, dieses Gespräch zu führen, dachte sie. Wenn ich nicht mal mehr das hinbekomme … Sie will doch einfach nur wissen, wo ich bin. Diese Kleinigkeit zumindest bin ich der Frau schuldig, die mir das Leben gerettet hat.
Der Gedanke daran löste augenblicklich einen Schweißausbruch bei Evelyn aus.
Durch den Hörer hallte: »Bianca Kramer.«
Evelyn legte auf.
Evelyn stellte fest, wie viel leichter es ihr fiel, an Rays Tür anzuklopfen, dabei wäre jede normale Frau in dieser Situation viel nervöser als vor einem Telefongespräch mit einer Kollegin.
Der missglückte Anruf hatte sie aufgewühlt. Sie hatte sich über sich selbst geärgert, weil sie heute Vormittag noch geglaubt hatte, dass es ihr etwas besser ginge, nun aber feststellen musste, den einfachsten Konfrontationen mit der Vergangenheit nicht gewachsen zu sein. Da sie mit Ili, die ihren Notarbesuch erledigte, erst in zwei Stunden im Pundt verabredet war, hatte sie beschlossen, die Zeit bis dahin nicht mit Herumsitzen zu verbringen – zu groß wäre die Gefahr gewesen, sich erneut in Gedanken zu verlieren. Bei der Wahl, ob sie lieber Robert Louis Stevensons Grab auf den Hügeln oberhalb von Apia besuchen oder eher auf die Einladung Ray Kettners zurückkommen sollte, hatte der tote Schriftsteller verloren.
Er öffnete mit einem Lächeln, das ansteckend wirkte.
»Kommen Sie herein«, sagte er mit einer weit ausholenden Handbewegung. »Entschuldigen Sie bitte meinen Aufzug, aber als Sie von der Rezeption aus haben anfragen lassen, ob ich zu sprechen bin, kam ich gerade aus der Dusche.«
An seinem Aufzug gab es wenig zu entschuldigen, fand
sie. Er hatte seine noch feuchten Haare zurückgekämmt, sie kräuselten sich leicht im Nacken. In der kurzen Zeit, als sie von der Rezeption zu seinem Zimmer im ersten Stock gelaufen war, hatte er es offenbar geschafft, eine dunkelblaue Jeans anzuziehen sowie ein Karohemd, das etwas zu weit offen stand. Er konnte sich diese Freiheit durchaus erlauben, denn er war gut gebaut und ausgesprochen männlich, aber dafür, dass sie sich so gut wie nicht kannten … Zeit, sich Socken anzuziehen, hatte er ebenfalls nicht mehr gehabt.
Als sie eintrat, fragte sie sich, welcher Teufel sie geritten hatte, hierher zu kommen. Im Pundt hatte sie sich eingeredet, mit ihm über seinen geplanten Kauf des Landes sprechen zu wollen. Ihr war eingefallen, was gestern mit Ili zur Sprache gekommen war, nämlich die unverhältnismäßige Größe des Landes im Vergleich zu der eher geringen Fläche, die für einen Hotelbau benötigt wurde. Womöglich bestand die Chance, ihn dazu zu bringen, nur einen Teil von Ilis Land zu kaufen.
Jetzt, wo sie mitten in seinem Zimmer stand, war sie sich unsicher, ob sie nicht noch andere Motive hatte, ihn zu besuchen.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte er.
Sie lehnte ab.
»Ach, kommen Sie, ein Glas wird nicht schaden. Frauen trinken gerne Sekt, und Sie sind eine Frau.« Er ging zu der kleinen Bar, öffnete eine gekühlte Flasche und
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