Der Duft der grünen Papaya
Familienverband an und standen außerhalb der Ordnung der matai . Für sie galt, dass jede von ihnen lediglich dazu verpflichtet war, das Land zu einem »angemessenen Preis« zu verkaufen, und das tat Moana, und den Kaufpreis zu teilen, was Moana ebenfalls tun würde. Um sie auszuzahlen, müsste Ili eine Million Dollar aufbringen – jene Summe, die Ane gestern genannt hatte. So viel hatte sie natürlich nicht. Nicht einmal fünf Prozent davon. Papayas hatte sie, nichts anderes. Eine Million Papayas und eine Million Riesenfeigen.
Der Wirt brachte Ili eine Schale Kokosmilch, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, und Ili trank die Hälfte in einem Zug. Dann berichtete sie Evelyn von ihren erfolglosen Bemühungen.
»Auf dem Rechtsweg erreichen wir also nichts«, murmelte Evelyn. Sie beschloss, Ili noch nichts von der Verabredung mit Ray zu erzählen. Zum einen konnte es ja immer noch sein, dass er nicht auf ihren gütlichen Vorschlag einging oder andere Hindernisse auftauchten, nicht zuletzt, wie sich Moana gegenüber einer solchen Änderung der Kaufpläne verhalten würde. Zum anderen war es ihr ein wenig peinlich. Ein Essen in einem schicken Restaurant mit einem gut aussehenden Mann, den sie kaum kannte und der als Anes Freund galt. Die Verabredung war so schon heikel genug, da war es besser, sie nicht großartig anzukündigen.
Ihrer beider Aufmerksamkeit wurde durch einen jungen
Samoaner in kurzer Jeans und mit nacktem Oberkörper abgelenkt, der, offensichtlich beschwipst, zur Musik aus dem Radio einen traditionellen Tanz auf der Veranda aufführte. Die Kartenspieler klatschten, und als der junge Mann auf den Hosenboden fiel, lachten sie freundlich. Der Wirt half ihm auf die Beine, klopfte ihm auf die Schulter und führte ihn wieder ins Café.
Der kleine unbedeutende Vorfall ließ Evelyn an Tupu denken. »Ich frage mich«, sagte sie, »wie es überhaupt jemals zu diesem Wirrwarr kommen konnte.«
»Zu Moanas Anteil am Land und am Papaya-Palast, meinen Sie? Damit hat sie ausnahmsweise nichts zu tun. Ihre Mutter Ivana war es, die zu Ende gebracht hat, was vor ihr schon Tupu eingefädelt hatte.«
»Ich dachte mir schon so etwas Ähnliches. Hat Tupu am Papaya-Palast mitgebaut?«
Ili schloss ihre Hand fester um die Schale. »Keinen Schlag.«
»Hat er die Plantage gepflanzt?«
»Nicht einen einzigen Handgriff hat er getan.«
»Dann verstehe ich nicht, wie er …«
»Erstaunlich, nicht wahr?« Ili trank einen Schluck. »Ja, man kann über Tupu sagen, was man will, aber er war nicht ungeschickt darin, mit Menschen zu spielen. Er erkannte ihre Schwächen und nutzte sie für sich. Tristans Schwäche war seine ungebrochene Liebe zu Tuila, und Tuilas Schwäche war ihre Liebe zu beiden, zu Tristan wie auch zu ihrem Bruder. Im Grunde spielte Tupu sie gegeneinander aus. Zunächst brachte er Tristan und Tuila auseinander – da waren wir heute Morgen stehen geblieben, richtig?«
Ili atmete tief durch und fuhr fort: »Damit fing das raffinierte, gemeine Spiel Tupus an. Tuila gehorchte seinem Befehl und verließ Tristan. Was hätte sie sonst tun können?
In Samoa ist der matai wie ein Gesetz, ihm zu widersprechen käme einem Verbrechen gleich. In etwas abgemilderter Form ist das – zum Leidwesen vieler junger Samoaner – noch immer so, aber damals war das Wort des matai ein Dogma. Ein paarmal noch kam Tristan in den darauf folgenden Tagen überraschend nach Palauli, in der Hoffnung, Tuila dort anzutreffen. Vergeblich. Tupu hatte seine Schwester vorübergehend in ein anderes Dorf geschickt, zu Freunden, die wie er selbst heimlich den Mau angehörten. Tristan lieferte sich noch zwei, drei Szenen mit Tupu, doch das änderte nichts. Er vermutete bloßen Trotz und das übertriebene Ego eines neuen Familienoberhauptes hinter Tupus Verhalten, aber er hatte noch immer nicht erkannt, zu was für einem Menschen Tupu geworden war.«
»Ich gebe zu, ich hatte auch nur Trotz und Großmannssucht bei Tupu vermutet«, gestand Evelyn.
»Ich sagte ja, er war raffiniert, nicht mutig und nicht klug, aber auf eine gewisse Weise durchtrieben. Tristan, so überlegte sich Tupu, konnte sehr nützlich für ihn und für die gesamte Widerstandsbewegung sein, aber natürlich nur, wenn er eng genug an die Familie Valaisi gebunden wäre. Als Tuilas Ehemann würde Tristan seine eigene Familie und damit auch sich und Tuila ins Verderben stürzen müssen, wenn er Tupu verriete. Es wäre also wie ein Freibrief für die Mau gewesen, wenn der
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