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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Alles, was dieses Land reich machte, die Farben und Düfte, die Stimmungen und Stimmen, ließ er weg, aus Angst, seine Mutter könnte erahnen, wie sehr er sich verliebt hatte. Ein bisschen waren sie sich ähnlich – nicht umsonst las sie die gleichen Bücher wie er, und so konnte es passieren, dass sie über Tausende von Meilen hinweg zwischen den Zeilen erspürte, wie es wirklich um ihn stand. Daher lenkte er sie ab: Er erwähnte den Gouverneur und dessen Gattin sowie Oberst Rassnitz und vier, fünf Beamte oder Kaufleute, bei denen die Aussicht bestand, dass seine Eltern einen aus ihrer Familie kannten. Er konnte sich gut vorstellen, wie seine Mutter bei Erwähnung des Namens »Berthold von Bock« zum Almanach des Adels griff und bei einer Tasse zuckrigen Kaffees eifrig darin blätterte und las, bis sie auf jemanden stieß, den sie tatsächlich kannte: »Von Bock, von Bock … Haben wir nicht vor drei Jahren bei der Kur in Bad Homburg eine Hedwig von Bock getroffen? Ja, ich glaube. Hier steht, sie muss die Cousine des besagten
Berthold von Bock sein. Aha! Unser Sohn hat also mit dem Vetter dieser Hedwig zu tun. Interessant!«
    Bei dieser Vorstellung musste er schmunzeln. Seine Mutter war so leicht glücklich zu machen – doch ebenso leicht unglücklich. Indem er ihr Namen über Namen nannte, mit denen sie sich tagelang beschäftigen konnte, zerstreute er ihre Gedanken in so viele Richtungen, dass sie sich keine übertriebenen Sorgen um ihn machen würde.
    In zwei Monaten, überlegte Tristan, wäre der Brief in Arnsberg. Die »Förde« würde ihn nach Neu-Berlin in Neuguinea  – beziehungsweise Kaiser-Wilhelm-Land – bringen, von dort nach Deutsch-Ostafrika und weiter durch den Suez-Kanal und das Mittelmeer bis Bremerhaven.
    Er gab soeben dem Bootsführer den Befehl, langsam an den Pier zu manövrieren, als er plötzlich Tuila sah. Sie bewegte sich durch die Menschenmenge am Hafen, nur für eine Sekunde konnte er ihr Gesicht erkennen, dann verschwand es wieder zwischen den anderen.
    »Schneller«, befahl er dem Bootsführer und versuchte, sich die Stelle zu merken, wo er Tuila gesehen hatte. »Schneller! Noch schneller!«
    Endlich wagte Tristan vom Bug des Bootes einen großen Sprung auf den Pier und wäre beinahe ins Wasser gefallen. Dann rannte er los.
    Er drängte sich durch die Menschenmenge. Überall standen Matrosen und Beamte, die das Ausladen organisierten, Siedler und Kontoristen, die Briefe abholten, samoanische Hilfskräfte, die Pakete auf bereitgestellte Rollwagen luden, Polizisten, die die Menge überwachten, und Unmengen von Neugierigen, die einfach nur den seltenen Trubel genossen. Es war beinahe kein Durchkommen.
    »Tuila!«, rief Tristan über die Köpfe der Leute hinweg, in der Hoffnung, eine Antwort zu bekommen. »Tuila!«
    Vereinzelt schubste er sanft Männer beiseite, die ihm im
Weg standen. Irgendwo sah er inmitten des Gewirrs von Leibern die Uniform von Oberst Rassnitz, aber er kümmerte sich ebenso wenig um ihn wie um die Polizisten, die salutierten.
    Er schob sich weiter voran. Frau Hufnagel begegnete ihm und rief: »Oh, Herr Leutnant, wie schön, Sie hier zu sehen. Ob Sie wohl so freundlich sein könnten, mir …«
    Er grüßte nur kurz, dann ignorierte er sie und ließ sie verblüfft hinter sich.
    Endlich hatte er sich aus dem dichtesten Gewühl befreit.
    Und dann sah er sie, Tuila. Sie stand ein Stück entfernt und mit dem Rücken zu ihm, aber er erkannte sie an ihrem langen Haar, das fast den ganzen Rücken bedeckte, und an dem leuchtenden roten Tuch um ihre Hüften. Dann erkannte er auch Ivana, die mit Moana auf dem Arm neben Tuila stand und sich mit ihr unterhielt.
    »Tuila!«, rief er, doch sie schien ihn nicht zu hören.
    Dafür hatte Ivana ihn bemerkt, und sie brachte Tuila unter irgendeinem Vorwand dazu, schneller zu gehen. Noch immer hatte Tuila ihn nicht bemerkt.
    Tristan rannte. An seinem Hüftgurt rasselte der Degen, und mehrmals übersprang er Kisten, die ihm im Weg standen.
    Tuila verschwand mit Ivana hinter einer Ecke, aber er wusste, dass er sie gleich eingeholt haben würde.
    Doch mit einem Mal – Tristan hatte ihn nicht bemerkt – stand der Gouverneur vor ihm.
    »Halt, mein guter Arnsberg, halt«, sagte er. »Wohin so eilig?«
    Tristan schluckte und trat unruhig auf der Stelle. Einerseits wollte er Tuila einholen, andererseits die Form wahren und dem Gouverneur höflich entgegentreten. Beides gleichzeitig war nicht möglich. Er blickte zu der Ecke, wo Tuila

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