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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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lebendig wie ein Spiegel, in dem er all die Momente mit ihr deutlich vor sich sah, in einem Jahr jedoch würden diese Bilder erste Risse bekommen, in fünf Jahren würde der Spiegel in große Stücke zerbrechen und dann mit jedem Jahr in immer kleinere, in tausend Splitter, die kein Bild mehr ergaben, sondern nur noch entfernt ahnen ließen, dass die wenigen Wochen mit Tuila die glücklichste, die beste Zeit seines Lebens gewesen war.
    So, wie er einmal Claras Zukunft vor sich gesehen hatte, sah er nun seine eigene: Er würde mit Clara an seiner Seite die nächsten Jahre auf Samoa bleiben, in Apia wahrscheinlich, wohlwollend und zugleich aufmerksam bewacht von der deutschen Gesellschaft. Abend für Abend würde er mit ihr dem Klub in Apia einen kurzen Besuch abstatten, zu den Späßen der Kolonisten blöde grinsen und dann zum Umziehen nach Hause fahren, hinter eine der Kolonialfassaden an der Hafenpromenade oder in eine schneeweiße Villa im Regierungsviertel Mulinu’u, umrahmt von grünem Rasen und putzigen kleinen Gruppen von Stiefmütterchen. Er würde immer wieder nur die Hanssens, die Janssens, die Hufnagels und die Tiedemanns sehen, sie einladen und von ihnen eingeladen werden, über die zunehmenden Spannungen zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien debattieren, die arroganten nationalistischen Allüren des alten Hanssen ertragen, Clara ertragen, die nichts zu sagen und nichts zu geben hatte. Man würde ihn irgendwann zum Hauptmann befördern, doch gleich darauf würde der alte Hanssen, der keinen Sohn hatte, dafür sorgen, dass Tristan aus der Armee ausschied und die Geschäfte des Handelshauses übernahm, und wenn Tristan dann eines Tages Grafentitel und Güter von Arnsberg geerbt hätte, würden die Vermögen vereint.

    Ja, diese Zukunft stand ihm lebhaft vor Augen. Sie ließ ihn schaudern, doch er wusste beim besten Willen nicht, wie er sie aufhalten sollte – und ob er sie überhaupt aufhalten sollte.
     
    Als der Schweinebraten mit Klößen in der Residenz des Gouverneurs serviert wurde, war aus dem Nebenraum der achtmalige Schrei des Kuckucks aus der Uhr zu hören. Schweinebraten war – neben Fisch mit Kartoffeln – das einzige deutsche Gericht, das mühelos zu beschaffen war. Die verwilderten samoanischen Hausschweine lieferten das Fleisch, Yamsknollen bildeten den Ersatz für den auf Samoa unbekannten und schwer erhältlichen Erdapfel, und Palusamiblätter gingen als Spinat gerade noch so durch. Polypen, Muscheln und Schildkröten, von den Samoanern als Delikatessen gefeiert, wurden hingegen verachtet. Für deutsches Gemüse war der Transportweg einfach zu lang, daher blieben Salzheringe, Speck, Lachskonserven, Zwieback und Sauerkraut die einzigen Lebensmittel, die man aus der Heimat importierte. Das allgemeine Klagen über »undeutsche« Ernährung war ein sehr beliebtes und endlos wiederholtes Gesprächsthema der Kolonisten.
    Umso deutscher waren dafür die Dinge, mit denen man sich umgab. Die Tiedemanns hatten sich ihre Tische und Schränke eigens aus Holsteiner Eiche fertigen lassen, die Ribbachs legten bei der Gestaltung ihrer Wege Wert auf Westerwälder Basalt, und die Kruses weigerten sich, etwas anderes in ihren Garten zu pflanzen als Stiefmütterchen, Margeriten und Rosen, obwohl die im feuchtwarmen Klima Samoas schlecht gediehen. Die Grammophone spielten Märsche, Donauwalzer oder Ausschnitte aus Wagner-Opern, der in Öl gemalte Kaiser hing in jedem Herrenzimmer und die Kaiserin in jedem Damenzimmer, die Kleider
und Hüte mussten in Berlin hergestellt worden sein, der Obstbrand in Bayern, der Wein an Rhein, Neckar und Mosel, die Federbetten in Pilsen, das Porzellan in Preußen und die Kristallgläser in Jena oder Mainz. Alles musste heimatlich sein, während die Gesellschaft in der Heimat längst britisches Gebäck, französischen Sekt und Opern von Verdi genoss – und Kuckucksuhren verachtete.
    Dr. Schultz erhob beim letzten Schrei des mechanischen Vogels das Glas: »Auf den Kaiser und auf meine bevorzugten Gäste, Fräulein Hanssen und Leutnant von Arnsberg, die ihre Zukunft gemeinsam gestalten wollen.«
    Die Gäste tranken auf das Wohl der Majestät und des künftigen Paares, und das Tischgespräch nahm seinen Anfang.
    Außer Oberst Rassnitz, dem alten Hanssen und zwei Konsulatssekretären samt Gattinnen, waren an diesem Abend auch zwei neue Gesichter in der Runde. Der Kapitän der »Förde« war nicht weiter von Bedeutung, er langweilte die Gouverneursgattin am anderen

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