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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Schriftstück gebeugt, und las es zum siebten oder achten Mal, ohne den Inhalt zu erfassen. Er versuchte, sich zusammenzureißen, doch es gelang ihm nur für Minuten – im Grunde unterschied er sich kaum noch von den Hunden, die im Schatten der fale vor sich hindämmerten.
    Er hatte alles versucht, um Tuila wiederzusehen, doch er musste erkennen, dass nicht Tupu allein es war, der das verhinderte, sondern auch sie selbst. Sie hatte sich verabschiedet, wie es schöner nicht möglich gewesen wäre, in der Nacht an der Palauli Bay, und nun wollte sie ihn nicht mehr sehen. So versuchte er, nicht länger an Tuila zu denken. Er lenkte sich ab, las vor dem Einschlafen die Novellen von Thomas Mann und die Gedichte von Christian Morgenstern, die ihm seine Mutter geschickt hatte, schrieb an einem neuen, viel längeren Brief an sie, dachte an Arnsberg, an die Apfelblüten, die jetzt wohl gerade das Gut überzogen, an die Ruhr, die sich träge in der Frühsonne glitzernd durch die Hügellandschaft wand, an die Krokusse, die unter den Fenstersimsen des Schlosses wuchsen – es half nichts. So gern er sich diese Erinnerungen vor Augen führte, so wenig trieb es ihn an ihre Stätten zurück. Sie gehörten scheinbar in ein anderes Leben, eines, das nur noch wenig mit ihm zu tun hatte und das ihm mit jedem Tag ein Stück mehr abhanden kam wie Sand, der durch die Finger rieselt. Andererseits wurden ihm die Erinnerungen an Tuila beinahe unerträglich. Obwohl er nur wenige Monate mit ihr zusammen gewesen war, überlagerten die Gedanken an sie bei weitem die Gedanken an seine Heimat, und dass seine Geliebte nur wenige Minuten zu Pferd von ihm entfernt
lebte und trotzdem unerreichbar war, quälte ihn jede einzelne Stunde. Kurz dachte er daran, um eine Versetzung zu ersuchen, nach Neuguinea vielleicht oder nach Deutsch-Ostafrika, aber etwas hielt ihn hier fest. Es war nicht nur Tuila und die Hoffnung, doch noch alles zum Guten wenden zu können, es war auch dieses Land, das ihn nicht mehr losließ, seine Leichtigkeit und Wärme, die Farbe des Meeres und der Blick nach oben, wo Tag und Nacht die gleichen zerrissenen Wolken über den Himmel zogen. Er fühlte, dass Samoa – vor allem Savaii – sein wahres Zuhause war und dass Arnsberg nicht mehr Heimat und Sehnsucht war, wie sich das nach Ansicht der hiesigen Kolonisten für einen Deutschen in der Fremde gehörte, sondern nur noch der Name, den er trug.
    So wie er empfand, wäre es nur konsequent gewesen, die Kaiserliche Armee zu verlassen und auf Samoa sesshaft zu werden. Geld genug dazu besaß er, auch ohne das gräfliche Kapital, denn sein Großvater hatte ihm bei seinem Tod ein ordentliches Vermögen hinterlassen. Nichts wäre also einfacher gewesen, als eine Plantage zu kaufen oder aufzubauen. Allein der Gedanke an seine Eltern hinderte ihn daran. Den einen Sohn hatten sie bereits verloren, sollten sie nun auch noch ihren letzten verlieren? Sie waren so stolz auf ihn, seine Mutter schrieb es immer wieder, und sie fügte stets hinzu, er allein sei es, der ihrer beider Leben erfüllte, auch wenn er am Ende der Welt sei. Der Graf war krank, die Mutter zerbrechlich und einsam. Ihnen zu schreiben, dass er die Armee verließe, um Kakao auf Samoa zu pflanzen, und dass er niemals wieder zurückkehren würde, hieße, ihnen einen Schlag ins Gesicht zu versetzen. Das konnte er nicht. Er brachte es einfach nicht fertig.
    So war also der Brief, den er in den letzten Tagen an seine Mutter geschrieben und der ihn veranlasst hatte, nach Apia zum Postdampfer zu fahren, frei von irgendwelchen
Aufregungen. Alles Schwärmerische und Emotionale fehlte. Tristan hatte weder die Landschaft beschrieben noch die Samoaner, und selbstverständlich fehlte auch jedes Wort über Tuila. Wozu sollte er sie jetzt noch erwähnen? Sie war Vergangenheit. Sie hielt ihn im Griff, ja, doch was würde es seiner Mutter nützen, das zu erfahren und auch, wie es tatsächlich in ihm aussah? Daher hatte er bis ins Detail seine Arbeit beschrieben – das würde vor allem seinen Vater interessieren – und die Polizeistation, so dass sie sich ein Bild von seinen täglichen Pflichten und seinem Quartier machen konnten. Ferner hatte er von seinem Pferd geschrieben, von dem Polizeiboot, dem Empfang in der Residenz am Geburtstag des Kaisers, dem Salut des Schlachtschiffes »Scharnhorst«, dem Orkan und dem Wetter allgemein, doch seine Beschreibungen beschränkten sich auf das Notwendige, sie waren so nüchtern wie eine Statistik.

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