Der Duft der Mondblume
ein mit Graffiti bemalter Kombi auf einer Wiese vor sich hin.
Abel John ahnte, wie ihr zumute war. »Froh, wieder da zu sein?«
»Ja. Und dabei habe ich von Honolulu nur vierzig Minuten hierher gebraucht. Stell dir vor, wie es erst ist, wenn man aus einer umtriebigen Großstadt auf dem Festland in dieses Paradies kommt.«
»Oder von einer Farm im ländlichen Australien«, scherzte er.
Catherine lachte. »Ja. Es ist eine andere Welt, das steht fest. Aber beides ist schön und auf seine Weise vertraut.«
»Man weiß, wenn man das Richtige getan hat, Mädel«, sagte er leise. »Es ist ein gewaltiger Schritt.« Er sah sie an. »Man geht durch eine andere Tür und sieht, was dahinter wartet.«
»Ein bisschen unheimlich ist es schon. Aber ich will nicht einfach zurück nach Hause zu meinen Eltern flüchten. Erst einmal muss ich auf eigenen Beinen stehen, stimmt’s?«
»Du hast hier auch eine Ohana – eine große Familie. Wir können Kalebassen-Cousins sein, was hältst du davon, Catherine?«
»Danke, Abel John.«
Sie bogen vom Highway auf eine unbefestigte Straße und fuhren an einem mit dunkelroten Bougainvillea überwucherten Zaun entlang. Catherine stieß einen Laut des Entzückens aus, als sie in das Städtchen hineinkamen.
»Hübsche Überraschung, was?«, sagte Abel John.
»Sieht ziemlich verschlafen aus«, lachte Catherine. »Aber mir gefällt’s.«
Üppige rote und orange Flammenbäume und Hibiskusbüsche standen vor alten Häusern. Hohe Trompeten- und Tulpenbäume und eine gelbe Akazie beschatteten die staubige Straße. Leuchtend rote Bougainvilleablüten und cremefarbene Frangipaniblüten lagen auf dem hölzernen Bürgersteig. Bei einigen Läden mit Wohnungen darüber waren die Fensterläden geschlossen, sie standen schon lange leer. Ein dunkles, voll gestelltes Warenhaus sah aus, als hätte schon seit hundert Jahren kein Kunde mehr die Schwelle überschritten. Andere Gebäude schienen bereits verschiedene Inkarnationen durchlebt zu haben. Es gab einen Gemischtwarenladen mit Briefkasten davor, ein Café, ein Kino, das geschlossen war, und einen chinesischen Tempel mit abblätternder Goldfassade, der etwas zurückgesetzt hinter einem kleinen Vorgarten stand. Auf der Straße saß ein Hund, der sich lässig kratzte, und auf einem Balkon mit schiefen grünen Fensterläden thronte eine magere Katze. Am Straßenrand parkten mehrere Autos, aber man sah keinen Menschen, nur aus einem Fenster ertönte Klaviermusik.
Abel John hielt hinter einem großen goldenen Oldsmobile. Catherine hatte den Eindruck, vor einem Patchwork-Haus zu stehen. Die Fensterläden leuchteten in einem kräftigen Orange, Tür und Fensterrahmen waren türkis gestrichen, die Holzwände in einem zarten Rosaton, und links und rechts vom Eingang prangten Geranien in zwei großen pinkfarbenen Töpfen. Dieses Anwesen zog selbst in einer so bunten Straße die Blicke auf sich. Die Verandapfosten, die den Balkon im ersten Stock stützten, waren in einem grellen Spiralmuster bemalt, das an alte Barbierstangen erinnerte.
Offenbar handelte es sich um eine Kunstgalerie, denn hinter den Doppelglasfenstern waren kühn bemalte Leinwände zu sehen. Manche hingen oder lehnten an der Wand, andere standen auf Staffeleien. Ein Schild über dem Eingang verkündete, dass dies
The Joss House
war.
Abel John führte Catherine durch die offene Tür hinein.
Sie betrachtete die Gemälde, hauptsächlich hawaiianische Motive – große Blumen, dunkeläugige Mädchen in bunt gemusterten Pareos, farbenprächtige Vögel, Strände, Klippen und Wasserfälle.
Eine Frau trat durch einen Perlenvorhang, der den hinteren Teil des Ladens abtrennte. Sie erschien Catherine ebenso farbenfroh wie die Gemälde. Sie hatte eine rote Haarmähne und trug pinkfarbenen Lippenstift und grünen Lidschatten. Ihr sonnengebräunter Körper steckte in einem lebhaft gemusterten Sarong. Ihre Füße waren nackt, sie trug jede Menge Schmuck und eine Blume im Haar. Kaum hatte sie den Mund aufgemacht, wusste Catherine, dass sie aus New York stammte.
»Abel John! Was für eine nette Überraschung. Schön, dich noch zu sehen, bevor ich abreise.« Sie küsste ihn auf die Wange, dann reichte sie Catherine die Hand.
»Ich bin Miranda.«
»Ich heiße Catherine. Sind diese wunderbaren Bilder von Ihnen?«
»Na klar. Sonst will hier niemand ausstellen. Morgen fahre ich nach Europa, von dort werde ich wohl einiges mitbringen. Hier in der Gegend sind die Leute an Lokalkolorit sozusagen weniger
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