Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
liebsten hätte sie sie verpetzt. Doch wäre dann ihr kleines Paradies verloren, vermutlich für immer. Daher schwieg sie und senkte den Blick, als die Lady ihrem heimkehrenden Vater um den Hals fiel, schnatternd wie ein Vögelchen das Geschmeide, das er ihr mitgebracht hatte, auspackte, und von Spiegel zu Spiegel tanzte – während die geladenen Gäste geduldig warteten, dass die Lady an der Tafel Platz nahm, damit das Abendessen endlich aufgetragen werden konnte.
Den Baumwollhändler hielt es nicht lange im Haus. Er war ein hagerer, humorloser Mensch, den Zahlen weitaus mehr interessierten als Menschen – mit einer Ausnahme: Seine Tochter liebte Mr. Winfield über die Maßen. Er ließ sich alles von ihr abfordern und wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, dass sein geliebter Augapfel ein intimes Verhältnis zu einem Herrn pflegte, den er nicht schätzte.
Mr. Chester fand zwar als Ehemann nicht seine Gnade, wurde als Verehrer dennoch empfangen, und da Mr. Winfield den Zahlen Vorrang gab, fiel ihm gar nicht auf,dass die Tochter mit dem Verehrer unangemessen viel Zeit ohne Begleitung verbrachte. Penelope wusste, was sie trieben und wo sie es taten. Vielleicht wussten die anderen es auch.
Doch niemand verriet die beiden. Nicht auszudenken, welches Geschrei Lady Rose dann anstimmen würde! Das Problem erledigte sich schließlich von selbst, denn Mr. Winfield würde alsbald wieder in See stecken, um einen Versuch zu unternehmen, Napoleons Seeblockade zu durchbrechen. Und Mr. Chester verschwand auf unerwartete Weise zum Regiment an die Küste. Über diese zufällige Fügung wagten nicht einmal die Dienstboten zu tratschen.
Wieder kehrte jener gepflegte Friede im Haus 28 ein, mit knisterndem Kaminfeuer, zimtduftenden Kugeln und einem täglich wachsenden Schal aus rosa Pfirsichblüten, den Penelope nun aus dem Gedächtnis häkelte, denn die Blumen im Erker waren verblüht, und sie beobachteten beide gespannt, wie sich aus den Blütenkelchen kleine Früchte entwickelten.
In Penelopes Erinnerung aber saßen die Blüten immer noch auf ihren Zweigen. Wie kleine rosafarbene Feen stäubten sie Duftwölkchen über ihr Gemüt und bliesen Blütenstaub auf ihre Wangen und die Lider. Sie zauberten damit einen rosigen Hauch in ihr blasses Gesicht und verliehen ihren Augen Glanz.
An einem Tag im Frühjahr schien die Sonne so warm, dass Penelope es wagte, den obersten Knopf ihres Jäckchens zu öffnen. Sie genoss es, wie der laue Wind um ihren Hals strich und mit den Nackenhaaren spielte, wie er an der Straßenecke mit einem Mal mutiger wurde und ihren Rock zu heben versuchte. Der Frühlingswind war wie ein Liebhaber – umgarnend, liebevoll, verspielt und in unbeobachtetenMomenten sanft über die Stränge schlagend. Penelope lächelte und öffnete noch einen Jackenknopf, während sie begierig den Duft von erwachender Gartenerde einatmete, die jemand zwischen den Häusern umgrub. Frohen Mutes erreichte sie das Haus 28 und wollte schon die Stiege zum Dienstboteneingang hinunterklettern, als die Haustür aufgerissen wurde und das rundliche Gesicht von Lady Rose erschien. Sie war kreidebleich.
»Komm!«, flüsterte sie heiser. »Jetzt gleich. Hörst du? Ich … komm sofort in meinen Salon!«
Penelope riss die Augen auf. Offenbar hatte die Lady auf sie gewartet – was konnte so wichtig sein, dass man auf eine Näherin wartete? Und wie sollte sie an Mistress Anabell vorbeikommen, die sie jeden Morgen mit Bergen von Flickwäsche eindeckte, als versuche sie zu verhindern, dass ihr Zeit fürs Häkeln im Salon blieb. Was jedoch nicht gelang, weil Lady Rose nach ihr rief, wenn sie zur vereinbarten Zeit nicht im Salon erschien.
Zum Glück befand sich die Mistress im großen Salon und besprach die Menüabfolge des abendlichen Dinners. Wenn Mr. Winfield von einer Reise zurückkehrte, mischte er sich zum Ärger der Mistress in alle Haushaltsbelange ein. Ihre keifende Stimme drang durch das Treppenhaus, doch die Salontür war geschlossen, und so zögerte Penelope nicht, sondern huschte die Treppe hinauf ins erste Stockwerk, wo sie in die Schatten des rot getünchten Ganges eintauchte.
Ein Sonnenstrahl stahl sich vor ihr an der Wand entlang. Er erweckte sie auf unheimliche Weise zum Leben, ließ sie glänzen, als ob jemand frisches Blut darüber gegossen hatte. Penelope lief es kalt den Rücken herunter, mit klopfendem Herzen hielt sie inne. Der Sonnenstrahl verschwand.Alles im Flur war wie sonst – dunkel, still. Sie fuhr herum.
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