Der Duft der Rose
»Reitest du?«
»Ja, ich mache mich gleich fertig.« Vincent stand auf. »Nicholas Levec war der Name?«
Sophie nickte. »Und er weiß nichts davon, dass er der Vater von Ghislaines Kind ist. Vielleicht solltet Ihr deshalb den Grund, warum Ihr ihn nach Belletoile holt, nicht offenlegen. Ich denke, das sollte Ghislaine tun.«
»In ihrem Zustand?«, fragte Henri zweifelnd.
»Ja. Gerade in ihrem Zustand. Das gibt ihr Gelegenheit, sich auf etwas anderes als ihre Todesahnungen zu konzentrieren. Außerdem ... vielleicht kommt er nicht, wenn er von dem Kind erfährt. Wir wissen ja nicht, wie die beiden auseinandergegangen sind.«
»Das ist ein gutes Argument, Sophie.« Vincent lächelte anerkennend. »Ich werde ihn hierher bringen, ohne genauere Angaben über den Grund zu machen.«
Henri blickte zum Fenster. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, und ein kalter Wind heulte durch den Park. »Du willst dich wirklich noch heute auf den Weg machen?«
»Keine Sorge. Du weißt doch, dass ich in der Dunkelheit wie eine Eule sehe.« Vincent beugte sich zu ihm und küsste ihn leicht auf den Mund. »Spätestens morgen bin ich wieder zurück.«
Nicholas legte ein Scheit im Herd nach und setzte sich dann wieder an den Tisch, wo er mit den Abrechnungen der letzten Woche beschäftigt war. Ein Abend wie viele andere auch. Alles lief nach Plan. Die Arbeiten an der Seifenmanufaktur würden in diesen Tagen wegen des Wetters eingestellt und im Frühjahr wieder aufgenommen werden. Der Bau war weit gediehen, und Ghislaine würde bei ihrer Rückkehr mehr als zufrieden sein.
Wann immer diese Rückkehr auch stattfand.
Ihre überstürzte Abreise hatte ihn nicht überrascht. Nachdem sie ihm so unvermutet die kalte Schulter gezeigt und sich von ihm abgewandt hatte, konnte ihn keine ihrer Handlungen mehr überraschen, so seltsam sie auch sein mochten.
Er verbot sich, an sie zu denken. Das war einfach. Was er sich nicht verbieten konnte, waren die Träume. Da sah er sie täglich, schmeckte sie und atmete den Duft nach Rosen. Er hatte aufgegeben, sich dafür zu hassen, stattdessen nahm er es einfach als gegeben hin.
Er dachte auch nicht schlecht von ihr. Zumindest nicht sehr. Es lag in der Natur der Sache, dass sie seiner überdrüssig werden musste. Ob es früher oder später geschah, spielte keine Rolle. Er war so knapp daran gewesen, sich in sie zu verlieben, und wohin hätte das geführt? So war es auf jeden Fall besser. Ein glatter Schnitt. Schmerzhaft im ersten Moment, aber problemlos heilend.
Er blickte durch die offenstehende Tür zum Bett hinüber. Es war bereits kurz vor Mitternacht, und das Tagwerk hatte ihn ermüdet, dennoch wollte er den Schlaf mit seinen unkontrollierbaren Träumen noch hinauszögern.
Gerade als er eine neue Zahlenreihe zu addieren begann, klopfte es an der Tür. Einigermaßen erstaunt stand er auf, um zu öffnen. Den jungen Mann, von dessen Hut das Wasser tropfte, kannte er nicht. Dennoch ließ er ihn eintreten.
»Ich danke Euch, Monsieur Levec. Mein Name ist Vincent Brasselet, ich bin der Sekretär des Herzogs von Mariasse.« Er streckte ihm lächelnd die Hand entgegen, und Nicholas drückte sie, ohne darüber nachzudenken. Der Herzog war Ghislaines Bruder. Er straffte sich unwillkürlich.
»Was bringt Euch bei diesem elenden Wetter über meine Schwelle, Monsieur Brasselet?« Er nahm den nassen Mantel des Mannes und hängte ihn über einen Stuhl, den er zum Herd schob. Brasselet folgte ihm und hielt die Hände über den Ofen.
»Der Herzog schickt mich. Ich soll Euch nach Belletoile bringen. Auf seinen Landsitz«, fügte er erklärend hinzu. Aber natürlich hatte Nicholas schon Berichte über das faszinierende Belletoile gehört, dessen Herrscher der Herzog von Mariasse war.
»Und warum?«, fragte Nicholas mit unverhohlener Neugier.
Der junge Mann zuckte mit den Schultern. »Darüber habe ich keine Kenntnis. Ich soll Euch nur zum Herzog begleiten.«
Nicholas sah ihn scharf an. »Hat es etwas mit Ghislaine zu tun? Ist ihr etwas passiert?« In seiner Sorge achtete er nicht auf die vertrauliche Anrede, die er benutzte.
Brasselet wandte sich ab und sah sich im Raum um. »Wie gesagt, ich weiß es nicht. Im Grunde wollte ich gleich mit Euch gemeinsam aufbrechen, aber das Wetter hat sich dermaßen verschlechtert, dass wir wohl bis morgen früh warten müssen.«
»Ich habe nicht zugesagt«, stellte Nicholas verärgert fest.
»Das habt Ihr nicht. Aber warum solltet Ihr ablehnen? Um diese Jahreszeit seid
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