Der Duft der Rose
fortgeschritten, das ist mir schon früher aufgefallen. Entweder habt Ihr das Kind früher empfangen, oder Ihr tragt mehr als ein Kind.« Sie tastete sich weiter vor. »Auf jeden Fall seid Ihr schon ein Stück weit offen.«
Ghislaine fühlte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. »Ich kann das Kind nicht früher empfangen haben«, sagte sie schwach. »Mehr als eines ... was heißt das? Was bedeutet das für die Geburt?«
»Zwei oder mehr Kinder bleiben meist nicht bis zum Ablauf der vollen Zeit im Leib der Mutter. Sie machen sich früher auf den Weg, das ist alles. Und sie sind natürlich leichter und schwächlicher.« Die schwarzen Augen blickten ohne erkennbare Gefühlsregung auf sie hinunter.
Ghislaine umklammerte Sophies Hand. »Kleiner und schwächlicher ... Sie könnten sterben?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
Jeanne schwieg und zuckte mit den Schultern. »Wir sind alle in Gottes Hand.«
Der Gedanke, dass sie so weit gekommen war und dass trotzdem alles umsonst sein könnte, lähmte Ghislaine. Das Schicksal konnte nicht so grausam sein. Gott konnte nicht so grausam sein.
»Ich empfehle Euch, das Bett nicht mehr zu verlassen. Jeder Tag zählt. Für Eure Sicherheit und die der Kinder werde ich mich in Eurem Ankleidezimmer einrichten.« Sie blickte Sophie an. »Außerdem könnt Ihr bereits mit der Suche nach einer Amme beginnen. Sie sollte hier im Schloss wohnen und viel Milch haben.«
Sophie nickte. »Ich werde mich darum kümmern.«
»Was kann ich tun?« Ghislaine fühlte sich so hilflos wie noch nie in ihrem Leben.
Jeanne stand auf und zog ihr den Rock wieder nach unten. »Beten.«
Ghislaine verfing sich in einem Netz aus Angst und dunklen Vorahnungen. In den nächsten Tagen und Nächten schlief sie schlecht. Immer wartete sie darauf, dass der Schmerz stärker wurde und in regelmäßigen Abständen kam, wie Sophie es ihr erklärt hatte. Aber die Schmerzen blieben diffus, und das ließ ihre bösen Vorahnungen unbeherrschbar werden. Sie hatte Angst, dass die Kinder noch in ihrem Leib sterben würden, und drückte und tastete deshalb ständig auf ihrem Bauch herum, um die Bewegungen zu spüren.
Sie bekam Schwierigkeiten mit dem Atmen und fühlte sich ständig, als würde sie jemand ersticken wollen. Sie war überzeugt, dass sie im Schlaf sterben würde, und saß deshalb aufrecht im Bett.
Sophie las ihr stundenlang vor, und Henri berichtete kleine Anekdoten vom Tagesablauf. Aber nichts davon konnte ihr die Todesangst und die schlimmen Vorahnungen nehmen. Sie wurde zunehmend apathisch und aß immer weniger. Auch ihre Umwelt interessierte sie nicht. Deshalb glaubte Sophie im ersten Augenblick, dass sie sich verhört hatte, als Ghislaine am Abend des fünften Tages sagte: »Lass Nicholas Levec holen. Sofort.«
Sie beugte sich näher zu ihr. »Wen soll ich holen lassen?« Den Namen hatte sie noch nie gehört.
»Meinen Verwalter. Nicholas Levec.« Ghislaine schloss die Augen, als hätten ihr die wenigen Worte schon große Anstrengungen bereitet. »Er ist der Vater der Kinder. Und er weiß nichts davon. Ich will ihn noch einmal sehen, ehe ich sterbe.«
»Du wirst nicht sterben«, sagte Sophie zum wohl tausendsten Mal. »Ich werde mich darum kümmern, dass Nicholas Levec geholt wird. Jeanne ist nebenan, wenn du etwas brauchst.«
Sie verließ das Zimmer und machte sich auf den Weg zu Henri. Sie fand ihn in seinem Arbeitszimmer, wo er mit Vincent Dokumente durchging. Die beiden Männer blickten ihr überrascht entgegen, als sie vor ihnen stehen blieb. »Ist etwas mit Ghislaine?«, fragte der Herzog sofort. »Kommt das Kind?«
»Ihr Zustand ist unverändert. Aber sie hat einen Wunsch geäußert.« Sophie atmete tief durch. »Sie will den Vater des Kindes sehen, weil sie Angst hat zu sterben.«
Der Herzog erhob sich und ging um den Schreibtisch herum. »Den Vater? Sie hat mir nie seinen Namen genannt, sonst hätte ich schon längst nach ihm geschickt. Ich dachte, es wäre ein verheirateter Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft, und sie macht deshalb so ein Geheimnis daraus.«
»Nein.« Sophie schüttelte den Kopf. »Es ist ihr Verwalter. Ein Mann namens Nicholas Levec.«
Erstaunt hob der Herzog die Brauen. »Tatsächlich? Sie hat mir zwar irgendwann einmal geschrieben, dass sie einen neuen Verwalter hat, aber nichts weiter. Keine Silbe, dass sie ein Verhältnis hat oder ...« Er brach ab. »Wie auch immer. Natürlich kommt er her. Ich lasse sofort jemanden nach ihm schicken.« Er blickte Vincent an.
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