Der Duft des Anderen
Fenster warf. Es regnete immer noch.
»Hallo, Freundin. Hier ist Jan, dein neuer Freund. Habe ich dich aus dem Bett geholt?«
»Oh – ja, das hast du allerdings.« Barbara schwang ihre Beine aus dem Bett und schlüpfte in ihre Pantoffeln. Sie freute sich über Jans Anruf. Sicher hatte er eine Idee, was man an einem so grauen Tag Lustiges unternehmen konnte. »Was gibt es denn?«
»Ich wollte dir nur mitteilen, dass ich morgen mit Monika für zwei Wochen nach Sardinien fliege.«
Scheiße!
, dachte Barbara. Dann rumorte es in ihrem schlaftauben Gehirn.
Sardinien? Wieso Sardinien?
»Wieso denn Sardinien?«, murmelte sie.
»Ja, gestern wusste ich es selber noch nicht. Monika und Joachim hatten die Reise gebucht, und nun muss Joachim ganz plötzlich zu einem Kongress nach München. Es ist schon das zweite Mal, dass sie diese Reise verschieben, und da hat mich Joachim gebeten einzuspringen. Wie findest du das?«
»Seltsam.«
Jan lachte. »Das kann man wohl sagen. Allmählich führen wir hier eine Ehe zu dritt. Das heißt, Joachim scheint sich immer mehr zurückzuziehen, seit ich aufgekreuzt bin. Ich möchte mit Dir darüber sprechen, wenn ich zurück bin, ist dir das recht?«
»Mit mir?«, fragte Barbara vorsichtig.
»Ja, weil Monika deine Freundin ist.«
»Sie spricht nicht über ihre Ehe.«
»Aus gutem Grund, scheint mir. Das ist gar keine. Joachim ist mit seiner Firma verheiratet.«
»Das sind viele Männer.«
»Aber sie überlassen deshalb ihre Frauen nicht anderen.«
»Was sagt Monika dazu?«
»Ja …« Jan zögerte. »Das ist ein etwas heikler Punkt. Deshalb möchte ich auch mit dir reden.«
»Nun«, meinte Barbara etwas ungeduldig, denn sie war enttäuscht, dass Jan keine Zeit für sie hatte, »ich wüsste zwar nicht, inwiefern ich dir von Nutzen sein kann, aber wenn es dich beruhigt, dann reden wir. Melde dich, wenn du wieder zurückkommst, und viel Spaß auf Sardinien!«
Missmutig legte sie den Hörer wieder auf. Gleichförmig rauschte der Regen gegen die Scheiben. Geweckt wegen nichts, Jan fuhr ins sonnige Sardinien und Joachim und Alexander machten sich wahrscheinlich eine schöne Zeit. Kongress in München? Barbara lachte trocken, während sie Kaffeewasser aufsetzte. Konferenz in Alexanders Schlafzimmer! Und als sie ins Bad ging, sagte sie zu ihrem Spiegelbild: »Mit der Firma verheiratet? Da bist du ziemlich nah an der Wahrheit, Jan Matuschek.«
Sie stellte fest, dass sie die Tage hatte; die kamen stets wie ein Holzhammer und erinnerten sie daran: Du bist eine voll funktionierende Frau, Barbara Waszcynski! Ihre Stimmung sank auf den Nullpunkt. Wie immer, wenn sie schlecht gelaunt war, räumte sie die Wohnung auf, nebenbei trank sie ihren Kaffee. Danach überlegte sie, wie sie diesen Tag am besten herumbrachte. Sie konnte sich nach Spezialanfertigungen von Schuhen erkundigen, die einen größer machten. Ein paar Zentimeter machten bestimmt schon etwas aus. Und am Nachmittag? Sie würde ins ›Cosima‹ gehen, vertraute Gesichter sehen, ein wenig plaudern, genau das, was sie brauchte. Jan, Monika, Joachim und Alexander waren verreist, und sie fühlte sich einsam, allein gelassen. Sie wusste, es war lächerlich, aber sie konnte nichts dagegen tun.
Eine Stunde später war aus Barbara wieder Sascha geworden. Sie zog ihre Lederjacke über, denn mit dem Regen war es auch kühler geworden, und fuhr mit ihrem Peugeot bis zum Bahnhof. Dort ließ sie ihn stehen und fuhr mit der S-Bahn in die Stadt, so konnte sich niemand von ihren Freunden ihr Nummernschild merken.
Der Nachmittag im ›Cosima‹ brachte nichts Aufregendes, aber er tat ihr gut. Sie freute sich jetzt schon auf den unbeschwerten Mittwochabend bei Kai.
***
Die Bude war voll. Kai und Andreas empfingen sie bereits wie einen alten Bekannten mit Küsschen auf beide Wangen, und Andreas holte den Schemel unter dem Küchentisch hervor, weil es keine andere Sitzgelegenheit mehr gab. Auch die Gartenstühle vom Balkon waren bereits vergeben. Barbara gab Andreas zwei Flaschen Wein und einen Haufen Knabbergebäck. »Jens und Ulli haben selbst gemachte Salate mitgebracht«, verkündete Andreas, »da brauchte ich nicht zu kochen, nur ein paar Würstchen heißmachen.«
Der reinste Kaffeeklatsch
, dachte Barbara amüsiert. Nach wie vor genoss sie diese eigentümliche Mischung aus Häkelklub und Fußballverein, dieses aus weiblichen und männlichen Klischees geformte dritte und – wie es ihr schien – liebeswürdigere Geschlecht. Und als sie
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