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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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Blicke trafen sie. »Im Altonaer Krankenhaus.«
    Barbara verabschiedete sich, außer Stephan nahm kaum jemand davon Notiz. Er fasste nach ihrem Arm. »Sascha?«
    Ihr Blick war kalt. »Ich rufe dich an.«
    ***
    Barbara gelangte trotz der späten Stunde ohne Schwierigkeiten in Erichs Zimmer, im Arm einen sommerbunten Blumenstrauß; der Laden im Bahnhof hatte noch aufgehabt. Sie hoffte, es war auch unter Männern üblich, bei Krankenbesuchen Blumen mitzubringen. Ein Blick in sein Zimmer beseitigte ihre Zweifel, es war ein Meer aus Blumen. Mittendrin saß, in einem Krankenhaushemd und Jogginghose, der Selbstmörder. Er packte gerade eine Pralinenschachtel aus und sah Barbara mit einem erwartungsvollen Lächeln entgegen. Erich Blume sah keineswegs aus wie knapp dem Tode entrissen, eher wie ein Geburtstagskind.
    Barbara begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange. »Mariza, du siehst prima aus!« Das kam aus ehrlichem Herzen.
    »Sascha!« Erich errötete. »Wie lieb, dass du mich besuchst.« Er nahm ihr den Strauß ab und steckte seine Nase tief hinein. »Ah, das riecht nach Sommer.« Dann sah er sich ratlos um. »Eine Vase. Wir brauchen noch eine Vase.« Er drückte auf die Klingel, dann hielt er Barbara die Pralinenschachtel hin. »Nimm dir was Süßes, du mit deiner Figur kannst es dir leisten.«
    Barbara nahm eine Praline. »Du bist doch auch noch rank und schlank, Erich.«
    »Ja, findest du? Ach nein, ich habe schon meine Speckröllchen. Mein Gott, sieh mich bloß nicht an, ich weiß, dass ich schrecklich aussehe. Diese Krankenhemden sind so was von unkleidsam.«
    »Aber so praktisch«, erwiderte Barbara liebevoll.
    Erich winkte kokett ab. »Ach, ich weiß schon, was du meinst.«
    Eine Schwester kam herein. »Na, Herr Blume?«, zwinkerte sie, »schon wieder Besuch?«
    »Schwester Ingeborg, wir brauchen noch eine Vase. Ist denn der nette Pfleger von vorhin nicht mehr da?«
    Schwester Ingeborg lächelte verständnisvoll. »Wenn Sie diesen gut aussehenden Brünetten meinen, mit dem kleinen Bärtchen und den lustigen Augen, das ist Hartmut, und Hartmut hat Feierabend, außerdem ist er verlobt.«
    »Mit einer Frau?«, fragte Erich mit gespieltem Entsetzen.
    »Ich glaube schon.« Schwester Ingeborg stemmte die Fäuste in die Hüften und sah sich kopfschüttelnd um. »Sagen Sie mir nun bloß, Herr Blume, wo ich noch eine Vase hernehmen soll? Ich muss ja schon anderen Patienten die Marmeladengläser stehlen.« Lachend verließ sie das Zimmer.
    »Nette Schwester«, sagte Erich. »Aber wenn Hartmut meine Bettwäsche wechselt, dann wird mir doch ganz anders.«
    Barbara nahm sich einen Stuhl und setzte sich an sein Bett. »Ich muss schon sagen, dir geht es blendend. Und ich glaubte, eine halb tote, verhärmte Gräfin vorzufinden, von aller Welt verlassen.«
    »Nicht von aller Welt, nur von Karl-Heinz«, seufzte Erich. »Dieser Schuft! Der andere ist zehn Jahre jünger, na und? Ich verstehe ja, wenn man mal naschen möchte, aber man muss doch nicht gleich die Wohnung wechseln.«
    »Und wer hat dir die ganzen Blumen gebracht und die Geschenke?«
    »Ach ja, reizend, nicht wahr? Ich überlege, wann ich das letzte Mal so verwöhnt worden bin. Man sollte einfach öfter Selbstmord begehen. Alle meine Theaterkollegen waren natürlich hier und noch einige Verehrer meiner Kunst.«
    »Von unserer Mittwochgruppe kommen bestimmt auch noch welche, dann bekommt Schwester Ingeborg noch mehr Vasenprobleme.«
    »Meinst du? Ach nein, die setzen keinen Fuß in ein Krankenhaus. Dass du gekommen bist, Sascha, ist wirklich süß.«
    »Na hör mal, das ist doch selbstverständlich. Wieso meinst du –?«
    »… dass die anderen nicht kommen? Sie sind alle noch so jung.« Plötzlich wurde Erich ernst. »Dir kann ich es ja sagen, ich bin schon dreiundvierzig. Und was mir passiert ist, das wird denen auch einmal passieren, verstehst du? Sie werden älter und älter, und eines Tages laufen ihnen die jungen Hübschen weg. Daran wollen sie nicht erinnert werden, sie verdrängen es, ich habe es früher auch getan. Ein Selbstmord passt nicht in unsere lustige Runde, so ist das. Ich nehme es ihnen nicht übel. Wenn ich wieder zu Hause bin, gebe ich eine Party für die Jungs. Ich muss mich eben arrangieren.«
    Bei Erich zu Hause!
, dachte Barbara betroffen. Erich kannte seine Freunde genau. Seine Freunde? Das waren keine Freunde, das waren Zweckgemeinschaften. Aber verhielt sie sich nicht ebenso? Oder hatte sie unter den Schwulen einen einzigen Freund gefunden?

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