Der Duft des Anderen
hätte ich mir denken können.«
Barbara kippte mit Todesverachtung ihren Wodka und orderte gleich den nächsten. »Wir haben uns doch schon einmal im ›Cosima‹ getroffen. Da fand ich dich gleich sympathisch, Dieter. Darf ich dir als Freund die Wahrheit sagen?«
Dieter riss die Augen auf. Die Wahrheit war offensichtlich immer irgendetwas Schreckliches. »Wenn’s denn sein muss.«
»Magst du lieber hübsche Jungs oder hässliche?«
»Was für eine Frage«, grinste Dieter.
»Na siehst du, und du bist hässlich. Deshalb hast du keinen Freund. Natürlich weißt du es, aber es ist wichtig, dass es dir jemand sagt.«
Dieter war so blass geworden wie die Servietten auf dem Bartresen. Seine Lippen zitterten, gleich würde er anfangen zu heulen.
Barbara schlug ihm leicht auf die Schulter. »Heulen macht es nicht besser. Du könntest nämlich prima aussehen. Weshalb lässt du deine schiefen Zähne nicht richten? Am Geld kann es doch nicht liegen?«
»Ich habe Angst vorm Zahnarzt«, sagte Dieter leise. Die Wirkung der Pillen schien verflogen.
»Und deine Haut ist grau vom Rauchen. Treibe doch ein bisschen Sport an der frischen Luft und gehe unter die Sonnenbank. Dann deine Haare, wer soll denn darin herumwuscheln wollen? Die sind fettig. Warum wäschst du sie nicht öfter?«
»Tu ich doch, jeden zweiten Tag«, sagte Dieter verzweifelt. »Du bist aber ziemlich hart mit mir.«
»Nicht hart genug. Du musst sie jeden Tag waschen. Lass dich mal vom Friseur beraten. Und die Pickel, da gibt es doch bestimmt einen Hautarzt, der dir eine gute Creme verschreibt. Mensch, Dieter, alle deine Probleme sind gar keine. Geh regelmäßig ins Fitnessstudio und kaufe dir schicke Klamotten. Geld hast du doch.«
Dieter sah sie traurig an. »Ach, das alles hilft doch nichts. Mich hat noch nie jemand richtig gemocht.«
»Weil du dich selber nicht magst. Pass mal auf! Du befolgst drei Monate lang meine Ratschläge, aber eisern. Dann gehen wir zwei in das schickste Szenelokal, und wenn du da nicht drei an einem Abend abschleppst, will ich kein Schwuler sein.«
»Mensch, Sascha!« Dieter musste schlucken. »Ich habe dich immer für ein bisschen eingebildet gehalten – so gut, wie du aussiehst. Dabei bist du ganz anders.«
»Ich kenne ein paar nette Jungs, die treffen sich einmal im Monat bei Kai, das ist ein Freund von mir. Komm doch einfach vorbei, bei denen ist jeder willkommen.«
»Klar, ich komme gern.« Dieters schiefe Zähne lächelten sie an. »Danke, Sascha.«
Ja
, dachte Barbara und warf einen kurzen, verbitterten Blick auf Alexander und Joachim,
einer ist immer noch unter mir.
22
Die erste Augustwoche begann mit Regen. Barbara hatte sich drei Tageszeitungen am Kiosk in ihrer Straße gekauft, um etwas über den Fortgang der Ermittlungen wegen des Strichermordes zu erfahren, aber der war bereits von anderen Meldungen verdrängt worden. Er wurde nicht einmal mehr erwähnt. Barbara erinnerte sich, dass die Zeitungen letztes Jahr wochenlang über die Entführung eines Industriellen und ihre Hintergründe berichtet hatten. Offensichtlich gab ein Mord in der Schwulenszene das nicht her. Barbara war es recht.
Sie beabsichtigte, das Wochenende zu Hause zu bleiben. Der bewölkte Himmel bremste ihren Tatendrang, und im Club wollte sie sich eine Weile nicht sehen lassen. Sie hatte sich von Joachims Verhör überraschen lassen, zukünftig musste sie vorsichtiger sein. Angeblich trug Joachim ihr das nicht nach, aber besser, sie ließ erst einmal Gras über die Sache wachsen.
Für eine Session mit Stephan für den kommenden Montag war sie ebenfalls nicht in Stimmung, und sie sagte ihm telefonisch ab. Stephan maulte zwar, aber am Mittwoch sahen sie sich ohnehin bei Kai, da würde man weitersehen.
Sie freute sich über die freie Zeit, die vor ihr lag, und hatte nicht einmal Lust zu malen. Mit einem historischen Wälzer, für den sie sich bisher keine Zeit genommen hatte, vergrub sie sich im Sessel, öffnete eine Flasche Wein und knabberte dazu Käsegebäck.
Das Buch war so spannend, dass sie drei Flaschen Wein leerte, das vorhandene Käsegebäck verzehrte und zu alten Chips greifen musste, weil sie keine Lust hatte, das Haus zu verlassen. Gekocht wurde nicht, kein Anruf störte sie. Als sie Sonntagnacht das Buch zuklappte, fühlte sie sich wie neugeboren. Sie hatte vor, am nächsten Tag auszuschlafen, doch gegen neun Uhr klingelte das Telefon.
»Ja?«, fragte sie mit verschlafener Stimme, während sie einen müden Blick aus dem
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