Der Duft des Apfelgartens
dich unter die Gäste!«, befahl sie ihm. »Sei ein guter Enkel. Jakey kann Tabletts herumreichen, das macht er gern.«
Clem schnaubte verächtlich. »Alle sagen ihm, wie brav und klug er ist. Er genießt das richtig. Er ist in Gefahr, ein verwöhntes Monstrum zu werden.«
Sie lachte. »Viel Glück dabei«, gab sie zurück. »Das geht bald vorbei. Lass es ihn genießen, solange er kann.«
Er lächelte, als er zu Pas Freunden ging, und sie schaute ihm nach, das Herz voller Liebe zu ihm, und sah in Clems hochgewachsener, langgliedriger Eleganz plötzlich seinen Vater. Sie biss sich auf die Lippen, denn jetzt schossen ihr schnell die Tränen in die Augen, wandte sich ins Haus und eilte in die Küche.
Jetzt schließt sie die Tür hinter sich, hält sich an der Umrandung des Herdes fest und versucht, nicht vor lauter Verlustgefühl und Frustration zu weinen. Merkwürdig, wie sehr Ruperts Ausflüchte sie verletzt haben! Sie versucht, ihm zu glauben und ihm diesen schon länger verabredeten Termin mit seiner Mutter abzunehmen, aber der Vorfall hat einiges, was sie zu ignorieren versucht hat, in den Vordergrund gerückt. Vielleicht nutzt er sie ja nur aus und hat überhaupt nicht die Absicht, abgesehen von ihrer jetzigen Freundschaft, irgendeine Zukunft mit ihr in Betracht zu ziehen.
Dossie nimmt ein Geschirrtuch, wringt es in den Händen und versucht zu entscheiden, was sie wegen Rupert unternehmen soll. Dann hört sie jemanden durch die Diele rennen und wischt sich schnell die Augen mit dem Tuch ab. Jakey, dessen kleines Gesicht vor Aufregung und Wichtigkeit strahlt, platzt herein.
»Mo sagt, wir brauchen noch Tee. Mehr Te e, Dosssie«, kräht er fröhlich.
Sie holt zittrig Luft und versucht, strahlend zu lächeln, aber er kommt näher, und sein eigenes Lächeln verblasst ein wenig.
»Wasss issst losss?«, fragt er besorgt. »Weinssst du, Dosssie?«
»Nein, mein Schatz, natürlich nicht«, antwortet sie, obwohl sie über seine Besorgnis am liebsten erst recht in Tränen ausbrechen möchte. »Nein, ich habe mir nur ein wenig die Hand am Herd verbrannt, sodass mir die Tränen in die Augen getreten sind. Ist das nicht dumm? Mir geht es prima. Lauf zu Mo und sag ihr, dass frischer Tee unterwegs ist! Ich setze den Kessel auf.«
Er tritt noch ein wenig auf der Stelle, denn sein Instinkt verrät ihm, dass sie nicht die Wahrheit sagt, aber sie nimmt rasch einen Teller mit kleinen Kuchenstücken und wendet sich ihm zu.
»Also«, spricht sie ihn an. »Meinst du, dass du die in den Garten tragen kannst, ohne ein Einziges fallen zu lassen? Was denkst du?«
Sofort schaut er feierlich drein, nimmt vorsichtig den Teller und geht damit hinaus, den Blick auf die Kuchenstücke geheftet. Dossie sieht der kleinen, ernsten Gestalt nach und muss erneut den Drang unterdrücken, in Tränen auszubrechen.
»Also ehrlich«, murmelt sie. »Was ist bloß mit dir los? Reiß dich um Himmels willen zusammen!«
Sie ist erleichtert darüber, dass Janna nicht zu der Geburtstagsfeier kommen konnte. Auf Chi-Meur haben sie wegen des Sankt-Lukas-Tages morgen ziemlich viele Gäste, und sie hat einfach zu viel Arbeit. Dossie weiß, dass sie unter Jannas scharfsinnigem, mitfühlendem Blick nicht in der Lage gewesen wäre, die Fassung zu wahren.
John the Baptist kommt schwanzwedelnd herein und keucht vor Anstrengung, nachdem all diese Menschen so viel Aufhebens um ihn gemacht und ihm viel zu viele Leckerbissen zugesteckt haben. Er scheint vor lauter Spaß beinahe zu lachen, und unwillkürlich lächelt sie ihm auch zu, zupft an seinem Ohr und streicht ihm über den Kopf.
Rasch zieht sie ihr Handy aus der Tasche und sieht nach, ob sie eine Nachricht bekommen hat: nichts. Sie hat Rupert ein paar SMS geschickt, aber keine Antwort bekommen. Offensichtlich ist er zu sehr mit seiner Mum beschäftigt. Ihr Herz ist bleischwer, und sie schneidet John the Baptist eine kleine Grimasse.
»Dumm gelaufen, alter Junge«, murmelt sie.
Der Kessel beginnt zu singen, und sie nimmt eine große Kanne und gießt den Tee auf.
Mo beobachtet, wie sie auf die Terrasse tritt und die Teekanne auf den Tisch stellt. Auch sie ist bedrückt. Sie weiß, dass Dossie unglücklich ist und ihre Erklärung für Ruperts Fernbleiben viel zu forsch und munter geklungen hat, und ihr Herz zieht sich vor Schmerz um ihre Tochter zusammen.
Eltern sind nur so glücklich wie das unglücklichste ihrer Kinder , das hat sie kürzlich irgendwo gelesen und betroffen gedacht, wie wahr das doch ist.
Weitere Kostenlose Bücher