Der Duft des Apfelgartens
sie ziemlich ausdruckslos. »Ja, nicht wahr?«
Schwester Emily sieht sie einen Moment lang an und berührt dann leicht ihren Arm. »Gott sei’s gedankt, dass Er die Arbeit geschaffen hat«, meint sie sanft. » Courage, ma brave .« Nur Mut.
Sie geht davon und lächelt der einen und anderen Gruppe zu, und dann taucht Pa neben Dossie auf. »Ich finde, es ist Zeit für die Drinks, Doss. Was meinst du?«, fragt er, und sie geht mit ihm ins Haus.
Allerheiligen und Allerseelen
Janna steht da und betrachtet den dichten goldenen Nebel, der über der unsichtbaren Oberfläche des Meeres treibt, sich landeinwärts bewegt und die weiter entfernten Halbinseln und Klippen verhüllt. Die Schreie der Seevögel wirken gedämpft, verschwommen. Gestern hat tief unterhalb der steilen Klippe in der Nähe von Trevone ein Seehundbaby gelegen, und Janna fürchtet, dass die Mutter fort ist und das hilflose Junge nicht überleben wird. Vor ihrem inneren Auge sieht sie die grausamen Schnäbel von Krähen und Möwen zustechen und erschauert. Aber nachzusehen, ob die Robbe noch da liegt, ist sinnlos. Der weiche Nebel rollt jetzt heran, wälzt sich über den Rand der Klippe, treibt über die Felder und hüllt Janna in kühle Feuchtigkeit. Sie wendet sich ab und macht sich langsam auf den Rückweg. Kein Picknick heute, und sie kann nicht im Sonnenschein sitzen; und doch ist sie nicht so deprimiert wie oft, wenn die Sonne hinter den Wolken verborgen liegt. Sie sieht jemanden auf dem Weg, ist aber an ihm vorbei, bevor sie in ihm den Mann erkennt, der angeblich Recherchen für ein Buch anstellt. Über den Dorfklatsch hat sie gehört, dass die Ortsansässigen glauben, er stecke hinter dem Mann, der das Kloster in ein Hotel umwandeln will, und dass er überhaupt kein Buch schreibt. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig; Chi-Meur ist sicher.
Die Hände in den Taschen, geht sie schnell und versucht, mit einem eigentümlichen Erlebnis fertig zu werden, das sie gestern Abend vor der Komplet in der Kapelle hatte. Es war die Zeit des stillen Gebets, in der die Kapelle nur von Kerzen erhellt wird, und Schwester Emily saß in ihrer üblichen kontemplativen Haltung in ihrer Bank. Ein Priester, der sich für ein paar Tage nach Chi-Meur zurückgezogen hat, hatte auf einem Stuhl in der Nähe des Altars Platz genommen und schaute zu dem großen geschnitzten Kruzifix auf. In der Besucherbank kniete ein weiterer Gast und stützte den Kopf in die Hände. Janna registrierte sie, bevor sie in ihre eigene Ecke glitt. Sie schloss die Augen, atmete tief, ließ sich einfach von der friedvollen Atmosphäre umfangen und nahm die Stille auf. Und dann, ganz plötzlich, fühlte sie sich unwiderstehlich von einem Gefühl der Freude davongerissen. Ihr Herz schien in Flammen zu stehen, und eine Weile – zehn Minuten, wie sie später feststellen sollte – war sie sich einzig und allein dieses überwältigenden Jubels bewusst.
Als Mutter Magda zur Komplet das Licht in der Kapelle einschaltete, kam Janna erschrocken wieder zu sich und fühlte sich benommen und verwirrt. Sie spürte, dass ihr Mund ohne ihr Zutun lächelte, und war immer noch von einem Nachhall dieser Freude erfüllt. Schwester Ruth, die hereinkam und sie sah, zog hoffnungsvoll die Augenbrauen hoch, und Janna nickte ihr kurz zu und eilte hinaus, um bis zum Ende der Komplet Wache bei Schwester Nicola zu halten. So haben sie es einstweilen abgesprochen.
Als Janna an diesem Morgen rasch durch den immer dichter werdenden Nebel marschiert, erinnert sie sich an dieses Gefühl der Freude, und ihr Herz schlägt ein wenig schneller. Ihr ist, als wäre sie verliebt. Sie schüttelt den Kopf und amüsiert sich über sich selbst, grübelt aber immer noch über ihr Erlebnis nach.
»Worum geht es bei diesem ganzen vielen Beten?«, hat sie Schwester Emily einmal gefragt.
»Das Gebet vereint die Seele mit Gott«, antwortete sie. »So hat es uns Mutter Julian gelehrt.«
Janna kennt diese Mutter Julian nicht, aber sie erinnert sich an Schwester Emilys Worte, und jetzt denkt sie darüber nach. Sie hat wirklich das Gefühl, mit jemandem oder etwas vereint worden zu sein, verbunden in Freude, Gemeinsamkeit und Liebe. Als Mutter Magda das Licht in der Kapelle einschaltete, hat sie sich gefühlt, als stürzte sie aus dem Weltall zurück, als hätte sie für kurze Zeit die Schwerkraft abgelegt, und der Ausdruck »auf dem Boden der Tatsachen aufschlagen« macht für sie jetzt richtig Sinn. Vielleicht wird sie mit Clem darüber
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