Der Duft des Apfelgartens
nicht mehr ganz so flott ist. Als er sich an den Tisch setzt, wirkt er ziemlich angestrengt und müde. Außer seinem Arzt redet nie jemand über den Schlaganfall. »Sprich das S-Wort nicht aus«, ist zum Familienmotto geworden.
»Dossie hat einen neuen Kunden«, erklärt Mo ihm. »Und noch eine Bestellung für einen gefüllten Tiefkühlschrank. Ist das nicht großartig?«
Sie haben Dossies neueste Idee »Unternehmen Kühltruhe« getauft, obwohl sie außer den Mahlzeiten für eine Woche fast immer auch ein frisches Essen zubereitet, das die Gäste bei ihrer Ankunft erwartet: Suppe, einen Auflauf, frische Brötchen, Obst und Käse, je nachdem, was der Kunde wünscht.
Pa strahlt vor Freude. »Ein brillantes System. Angesichts der Bankenkrise genau das Richtige jetzt. Die Gäste können es sich nicht leisten, ständig zum Essen auszugehen, und sich etwas liefern zu lassen kann fast genauso teuer kommen. Du bist da einer guten Sache auf der Spur, Doss.«
Wie immer wärmt die Aufmunterung durch ihre Eltern ihr das Herz. Sie weiß, dass einige ihrer Freunde es sehr ungewöhnlich finden, dass sie immer noch bei Pa und Mo wohnt, vor allem nachdem Clem jetzt erwachsen ist; aber andererseits hat sie nie ein normales Familienleben gekannt. Durch Pas Beruf – Bergbauingenieur – sind sie in ihrer Kinderzeit ständig von einem Land ins andere gezogen; und dann, nachdem Pas verwitwete Mutter gestorben war und sie im Court sesshaft wurden, war da der stete Strom der Pensionsgäste. Von Anfang an hatte sie hier genug Privatsphäre und Freiraum, um sehr glücklich zu leben; und Clem hatte es viel besser in dieser Art Großfamilie als allein mit seiner Mutter in einer kleinen Wohnung. Auf eigenartige Weise wiederholt Clem dieses Muster mit Jakey, der umgeben von den Schwestern, Janna und Vater Pascal aufwächst.
Dossie weiß, dass die Pensionsgäste Pa und Mo fehlen, und manchmal fragt sie sich, wie sie zurechtkommen würden, falls sie sich jemals zum Ausziehen entschließen würden. Aber bis jetzt hat sie noch für niemanden so starke Gefühle entwickelt, dass sich diese Frage ernsthaft gestellt hätte. Aus irgendeinem Grund muss sie an den Mann denken, der sie vorhin angerufen hat. Sie greift zu ihrem Laptop.
»Ich muss noch etwas arbeiten«, erklärt sie den Eltern. »Muss diesen neuen Kunden überprüfen. Bis später.« Und sie geht in den Flur, steigt die Treppe zu ihrem kleinen Arbeitszimmer hinauf und schließt die Tür hinter sich.
Lichtmess
Lichtmess! Das ist Schwester Emilys erster Gedanke beim Aufwachen. Schön! Was wir wohl zum Mittagessen bekommen? Ihre Novizenmeisterin hat sie gelehrt, morgens als Erstes das »Gloria« zu sprechen, aber Festtage sind besondere Gelegenheiten, und die Worte »Ehre sei dem Vater …« kommen aus tieferem Herzen, wenn sie, zum Beispiel an Michaeli, nach der Gans gebetet werden oder einem köstlichen Lammrücken am Ostersonntag. Und außerdem lautet zurzeit ihr erster Gedanke beim Aufwachen eher: Ach, du meine Güte. Geht das wieder los …
Sie zieht ihr Nachthemd aus, lässt Wasser in ihr Waschbecken laufen und überlegt, ob Janna in der Lage ist, ein Festessen zuzubereiten. Schließlich ist sie nicht als Köchin hergekommen. Aber da Penny sich noch nicht von ihrer schlimmen Gürtelrose erholt hat, hat man der armen Janna ohne große Umstände diese Rolle übergestülpt, und sie kämpft mit der zusätzlichen Arbeit. Nun ja, sie alle haben zu kämpfen.
Sie wirft einen Blick auf ihren kleinen Wecker. Achtzehn Minuten nach sechs. In diesem Moment wird Ruth, die mit ihren erst achtundsechzig Jahren die Jüngste von ihnen ist, Nicola waschen und ihr dann in den Sessel helfen, in dem sie den größten Teil des Tages verbringt, während Magda in der kleinen Küche am Ende des Ganges Tee und Kaffee kocht und Nicolas Frühstück zubereitet. Heutzutage nehmen sie alle ein heißes, wärmendes Getränk zu sich, bevor sie zum Morgengebet gehen, das von sieben auf halb acht verlegt worden ist, damit sie alle die Möglichkeit haben, sich vorzubereiten und ihre jeweiligen morgendlichen Verrichtungen zu beenden. Schwester Emily seufzt: Sie erinnert sich an die Zeiten, in denen sie in der Morgendämmerung zur Laudes aufgestanden ist oder noch früher zur langen Nachtwache der Matutin. Aber heute sind die Schwestern zu gebrechlich, um ihre geringen Kraftreserven auf die Probe zu stellen.
Als Sakristanin ist es ihre Aufgabe, in der Kapelle alles für die Tagesgebete vorzubereiten, und während sie
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