Der Duft des Apfelgartens
Miene und ihre Körpersprache verrieten Clem, dass sie eine Frau war, die jeden Kontrollverlust fürchtete und instinktiv jegliche Lockerung der Regeln verabscheute. Er erstarrte ein wenig und fürchtete, die Zurückweisung könne Jakey verletzt haben; aber Jakey wandte sich schon wieder fröhlich Schwester Emily und Mutter Magda zu, seinen neuen Freundinnen.
Clem isst seinen Porridge auf und schiebt die Schale beiseite. Immer noch grübelt er darüber nach, wie eigenartig es ist, ein Kind an einem Ort wie Chi-Meur aufwachsen zu lassen. Doch eigentlich ziehen sie Jakey alle gemeinsam groß: Janna, die Schwestern, Vater Pascal, Dossie, Mo und Pa. Clem sieht zu, wie Janna Toast in Streifen schneidet und mit Honig bestreicht. Sie legt sie auf Jakeys Teller, und er verspeist sie genießerisch und bietet ab und zu dem Streifenhasen einen Bissen an.
Es ist, als wären wir eine Familie, denkt Clem. Und ich bin mir sicher, dass Jakey hier glücklich ist.
Janna lächelt ihn an und schiebt ihm etwas Toast hin. Wie einfach könnte das Leben sein, überlegt er, wenn ich mich nur in sie verlieben könnte!
Der Schnee fällt, überfriert und fällt weiter. In Cornwall sind die Schulen geschlossen, und die Straßen sind durch Schneeverwehungen blockiert.
»So etwas ist hier noch nie da gewesen«, meint Pa ärgerlich und starrt untröstlich aus dem Schlafzimmerfenster. »Klimawandel. Auf so etwas können wir uns jetzt freuen: Hochwasser, Schnee, Hitzewellen. Der Grund ist diese ganze Energie in der Atmosphäre. Tsunamis, Vulkanausbrüche. Wie soll ich bei diesem Wetter die Hunde ausführen?«
Mit gerecktem Rücken, eine Faust hinter dem Körper, hebt er seinen Kaffeebecher und trinkt. Mo beobachtet ihn vom Bett aus. Seine Intensität, seine übersprudelnde Energie haben sie schon immer leicht erschöpft, sogar, als sie beide noch jung waren. Jetzt entladen sie sich in Tiraden gegen die Regierung, oder er brüllt den Fernseher an und schimpft über Zeitungsartikel. Sie hat entsetzliche Angst davor, dass diese Ausbrüche einen weiteren Schlaganfall verursachen könnten. Ihr Hausarzt hat Verständnis für ihre Sorge, aber er beurteilt Pas Charakter realistisch.
»Wir kennen ihn doch«, meinte er resigniert. »Und in seinem Alter nutzt es nichts, ihn ändern zu wollen. Vielleicht bekommt er einen weiteren Schlaganfall, so wie schon einmal, und beim nächsten Mal könnte es schlimmer ausgehen. Aber können Sie sich ehrlich vorstellen, dass er still auf dem Sofa sitzt und sich in Watte packen lässt? Sie können ihn genauso gut gewähren lassen, Mo. Ich weiß, das ist schwierig für Sie.«
Und es fällt ihr schwer. Zuerst hat sie ängstlich zugesehen, wie er am Telefon einen Unbekannten anbrüllte, der versuchte, ihm Isolierfenster zu verkaufen. » Hören Sie nicht, was ich sage? Dieses Gebäude steht unter Denkmalschutz . Wir dürfen keine Fenster mit Doppelverglasung einsetzen. Warum überprüfen Sie Ihre Informationen nicht, bevor Sie anderer Leute Zeit verschwenden?« Oder sie schaute immer wieder auf die Uhr, während er eine Stunde lang einen Graben für die Stangenbohnen aushob, und lief immer wieder in den Garten, um sich davon zu überzeugen, dass er nicht wieder zusammengebrochen war. Aber nach und nach hat sie gelernt, die Angst abzuwehren, weil sie erkannt hat, dass ihre Nervosität noch dazu beiträgt, dass er sich verletzlich und schwach fühlt, und inzwischen sind sie in ihren alten, fröhlichen Umgang zurückgefallen.
»Wenn du es schaffst, irgendwie den Aufsitz-Rasenmäher aus der Scheune zu holen«, sagt sie jetzt, »könntest du hinter dem Haus ein Stück freimachen und einen Weg durch den Schnee zur Straße bahnen. Bald kommen sowieso die Traktoren, weil die Bauern zu ihrem Vieh durchkommen müssen. Das wird den Hunden Spaß machen. Wolfie kann mit dir auf dem Mäher fahren.«
Daran, wie er aufmerksam den Kopf reckt, erkennt sie, dass er darüber nachdenkt. Sie streckt die Hand nach Wolfie aus, der sich neben ihren Knien auf der Steppdecke zusammengerollt hat. John the Baptist liegt am Fußende und schlägt mit dem Schwanz auf den Läufer. Er hat schon immer empfindsam auf Pas gelegentliche Ausbrüche reagiert – er legt dann die Ohren an und sieht seinen Herrn von unten herauf an, während er begütigend den Kopf auf Pas Knie legt. Und selbst wenn Pa vor Zorn tobt, geht seine Hand sanft mit dem schwarzen Kopf um, zupft zärtlich an einem Ohr oder streicht über das weiche Fell. John the Baptist weiß ganz
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