Der Duft des Apfelgartens
noch nicht gesehen; aber warum sollte Jack ihn verdächtigen?«
»Sie kennen doch diese Menschen. Betrug oder Ungereimtheiten wittern sie meilenweit. Sie lassen sich nicht davon täuschen, wenn jemand mit prominenten Namen um sich wirft, und Jack meint, dass er sich nicht wie ein Historiker benimmt. Er hat in seinem Leben ein paar gekannt und sagt, da stimme etwas nicht. Mr. Caine wirkt nicht glaubhaft. Ich dachte, ich sollte das erwähnen, für den Fall, dass er sich hier blicken lässt.«
Sie lacht. »Nun, wir haben hier auf Chi-Meur nichts, hinter dem ein Betrüger her sein könnte. Aber danke für die Warnung.«
Am Strand tummeln sich Kinder und zwei Hunde. Janna sieht zu, wie sie einen Ball über den Sand jagen, wendet sich dann ab und steigt den Klippenpfad hinauf, der aus dem Dorf hierherführt. Im Schutz der Bruchsteinmauer, die die großen Felder oben auf der Klippe umgibt, blühen Sandgrasnelken, und Janna bückt sich, um die flaumigen rosafarbenen Blüten zu berühren. Auf dem Heimweg will sie ein paar pflücken, um sie in ihre kleine Silbervase zu stellen. Als sie tiefer in die Hocke geht, sieht sie Hunderte von Schnecken, die sich zusammenklumpen. Gelb, grau und gestreift hängen sie wie Kletten an dem rauen, löchrigen Granit. Oben auf der Klippe stemmt Janna sich gegen den kräftigen, warmen Westwind, lacht vor Freude über dieses Gefühl und schaut in Richtung Trevose Head. Die Landzunge ist in strahlenden, goldenen Sonnenschein und glitzernde weiße Gischt gehüllt. Möwen segeln im Wind, steigen und sinken hinter dem Rand der Klippe und kreischen misstönend. Die Sonne sticht ihr in die Augen. Sie geht schnell und schlingt die Arme um den Körper, als müsste sie dem Zerren des Windes widerstehen. Ihr Herz ist leicht, und sie fühlt sich ausgelassen. Sie hat ihre erste richtige Bewährungsprobe auf Chi-Meur bestanden, und jetzt darf sie hinaus in diese große, ungezähmte Natur und braucht niemandem Rechenschaft abzulegen.
Plötzlich sehnt sie sich danach, wieder unterwegs zu sein, hoch aufgerichtet im Auto oder im Zug zu sitzen, zuzusehen, wie die Landschaft vorbeizieht, und nicht zu wissen, wo die Reise enden wird. Und doch ist sie so gern hier auf Chi-Meur bei ihrer kleinen Familie: Mutter Magda, Vater Pascal, den Schwestern und Clem und Jakey. Sie liebt ihren winzigen Wohnwagen – ihren eigenen gemütlichen Rückzugsort –, und doch zerren Erinnerungen an ihrem Herzen; und eine Stimme flüstert ihr unaufhörlich etwas von Freiheit, neuen Horizonten und Veränderung ins Ohr.
Inzwischen vermutet sie, dass ihr Vater so empfunden hat: das aufgeregte Prickeln im Blut bei der Aussicht auf Unabhängigkeit und Abenteuer, das mit tief empfundenem Entsetzen gerungen haben muss, als ihm klar wurde, welchen Druck die enorme Verantwortung der Vaterschaft auf ihn ausübte. An Tagen wie diesem ist Janna in der Lage, ihm zu vergeben – oder ihn doch wenigstens zu verstehen. Das ist besser als Groll, und das Wissen, dass er sie nicht gewollt hat, tut dann weniger weh.
»Schließlich«, hat Vater Pascal argumentiert, »hat er Sie nie kennengelernt. Die Vorstellung von einem ungeborenen Kind ist etwas ganz anderes als die wirkliche Person. Er hat sich nicht die Zeit genommen, Ihnen näherzukommen. Das ist sein Pech.«
Das Gras fühlt sich unter ihren Füßen weich und federnd an. Atemlos stemmt sie sich gegen den Wind und eilt voran, während das Meer donnernd in leere Höhlen schlägt, die tief unter ihren Füßen liegen, und brüllend an der steilen Klippe zerrt, sodass sie vollkommen von seinem Toben umgeben ist. Als Janna sich Roundhole Point nähert, lässt sie sich in der Nähe des Gatters, das nach Porthmissen führt, in den Schutz des Steinbogens sinken. Wenn Clem und Jakey sie begleiten, halten sie hier an, um zu picknicken. Jakey klettert gern auf den Felsen herum und quetscht sich durch das Tor, aber er wartet die ganze Zeit darauf, dass sie zusammen an den Rand der eingestürzten Höhle treten. Clem und Janna halten ihn an der Hand, und dann kann er sich nach vorn beugen und in diesen großen, leeren Raum hinunterspähen. Er sieht direkt durch die Klippe bis zu den schwarzen Felsen tief, tief unten, wo die Flut gierig durch einen niedrigen Bogen dringt, an den steilen Wänden leckt und die Gischt hoch in die Luft schleudert. Janna spürt gern, wie Jakey ihre Hand umklammert, während er sich gefährlich weit nach vorn beugt; sie genießt sein Vertrauen zu ihr und Clem, wenn er mit weit
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