Der Duft des Blutes
-für alle Fälle!"
Der Beamte vom Observationsteam öffnete ihr die Haustür und kehrte dann zu seinem Platz zurück. Sabine stand reglos in der dunklen Halle und lauschte. Es war so still, dass sie das Blut in ihren Ohren rauschen hörte.
Wo sollte sie beginnen? Nach was sollte sie suchen?
Die Kommissarin knipste ihre Taschenlampe an und stieg dann in den ersten Stock hoch. Sie warf einen Blick in jeden Raum und ließ den Lichtkegel langsam schweifen. Vor dem zerbrochenen Spiegel blieb sie einige Augenblicke stehen. Ein Unfall? Ein Kampf? Ein Wutausbruch? Sie zog die Schubladen des Frisiertisches heraus. Außer dem Spiegel schien sich -seit dem Tag, an dem sie sich für das Konzert in der Musikhalle hier umgezogen hatte -nichts verändert zu haben. Langsam ging sie weiter. Das Bad sah unbenutzt aus, doch plötzlich stutzte die Kommissarin, bückte sich und hob eine schwarze Haarsträhne auf.
Jemand hatte sich das Haar geschnitten. Hatten die Kollegen die Strähne bei ihrer Durchsuchung übersehen oder nur ein paar Haare für das Labor mitgenommen -oder war in der Zwischenzeit jemand hier gewesen? Sie steckte das Haar in eine kleine Plastiktüte und verstaute sie in ihrer Manteltasche.
Wann hatte sie das lange schwarze Haar von seinem Hemd entfernt? Stammte es von einer Freundin, einer Komplizin, die sich nun für die Flucht die Haare geschnitten hatte? Oder von einem anderen Mann? In ihrem Unterbewusstsein regten sich Erinnerungen an einen nächtlichen Verfolger. Konnte es doch Peter von Borgo sein? Vielleicht trug er manchmal eine langhaarige Perücke -doch warum nun das Haar abschneiden?
Sabine war sich sicher: Er war Kunde bei Ronja gewesen, er hatte sie ermordet und dann sein grausames Spiel mit ihr gespielt. Sandra war ihm auf die Spur gekommen, und deshalb musste sie sterben, wie auch die alte Nachbarin, die ihn mit Ronja beobachtet hatte.
Und dann hat er mich entführt und zu Sandras Leiche gebracht. -Aber warum? Warum wollte er, dass die Leichen entdeckt werden? Sie sah Ronja vor sich, wie sie über dem Wasser schwebte, und Sandra, wie sie zwischen grünem Farn ruhte. Wenn er sie hätte verstecken wollen, dann hätte er sie vergraben. Nein, er wollte sie präsentieren, und da sie nicht schnell genug gefunden worden sind, hat er nachgeholfen. Welch unglaubliches Risiko er eingegangen war!
Nachdenklich schritt Sabine die Treppe hinunter in das große Zimmer mit dem Flügel. Sie schloss die schweren Vorhänge, damit das Licht ihrer Lampe nicht nach draußen drang, und blieb dann vor der Bücherwand stehen.
Es sind nicht allein die Morde, die ihn erregen und befriedigen -es ist die Präsentation seines Kunstwerkes und die Demonstration seiner -vermeinüichen -Überlegenheit.
Da fiel ihr Blick auf eine Reihe niedriger, ledergebundener Bände. Die Bücher waren alle gleich hoch und gleich dick und füllten eine ganze Regalreihe, doch ihre Rücken verrieten nicht, um was iür Bücher es sich handelte. Die Kommissarin zog einen Band heraus und klappte ihn auf. Die Seiten waren gleichmäßig mit einer feinen Handschrift bedeckt, die ihr seltsam bekannt vorkam. Sabine schlug eine Seite um, und ihr Blick blieb bei einer Datumszeile hängen. Ein Tagebuch! Neugierig begann Sabine zu lesen.
13. Juni 1963. Seit Langem habe ich mich nun wieder einmal nach St. Pauli gewagt. Ich dachte, die Tänzerinnen im Moonlight könnten meinen Appetit angenehm schüren -und ich hatte recht. Schon lange ist das Ausziehen auf der Bühne zur Kunstform erhoben worden, doch stets bestanden die Hüter der Sitte und Moral darauf, dass die Damen ein Schrittband anbehielten. So war ich ein wenig erstaunt, als sie -für eine Extragage von fünf Mark -das Keuschheitsband lösten und es unter dem Gejohle der aufgegeilten Männer in die Menge warfen. Ja, die Sitten ändern sich, doch wenn ich daran denke, was ich zu früheren Zeiten in den Pariser Clubs erlebt habe! Die Damen wussten auch ihre Körper zu präsentieren und den Herren mit den dicken Börsen die Nacht zum Erlebnis werden zu lassen...
Sabine ging zwei Schritte weiter, zog ein weiteres Buch heraus und schlug es auf. 25. August 1826 lautete die Überschrift.
Blankenese begann der Eintrag in derselben schwungvollen Schrift. Nach einem Streifzug am Eibufer entlang erreichte ich das Fischerdorf Blankenese. Eine ärmliche Ansiedlung geduckter Hütten, die sich ängstlich an den steilen Hang schmiegen, und doch leuchtete mir auch Trotz und Starrsinn aus den leeren
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