Der Duft des Blutes
Fensteröffnungen entgegen. Das Blut der Strandräuber pocht noch immer in ihren Adern. Zwar locken sie heute keine Schiffe mehr mit ihren Lichtern auf die Sandbänke, um sich ihrer Ladung zu bemächtigen, doch ihre Männer sind aus härterem Holz geschnitzt und von anderem Blute als die Menschen in Hamburg. Während des Sommers gibt es nur Frauen, Kinder und Greise hier, denn die Männer sind zur Tiefseefischerei ausgezogen. So mancher wird dabei vom Meer geholt, und so wundert sich keiner, wenn einige nicht zurückkehren. Die Frauen hüllen sich in Schwarz, kneifen die Lippen zusammen und arbeiten ohne zu klagen weiter. Auch die ganz jungen Mädchen sind hier schon von einem seltsam anmutenden Ernst erfüllt. Die kokette Leichtigkeit, die man bei mancher jungen Dame an der Alster aus den Augen blitzen sieht, sucht man hier vergeblich. Und doch zieht mich dieses Dorf an wie kaum ein anderer Fleck hier im Norden des Reiches. Ist es der weite Blick über die Elbe und das Alte Land, wenn der Mond sein silbernes Licht verstreut? Die letzte Prise Meerluft, die der Wind die Geesthänge hinauftreibt? Der Hauch von Ferne und Sehnsucht? Hier werde ich mir ein Domizil suchen, um der lärmenden Stadt entfliehen zu können. So mancher reiche Hamburger fühlt diesen Reiz wohl ebenso, denn die Villen über den steilen Uferhängen werden mit jedem Jahr prächtiger, die weitläufigen Parkanlagen raffinierter. Ich bin durch Lustgärten mit fein beschnittenen Bäumen gestreift, die jeden Schlossgarten, den ich in früheren Zeiten in Frankreich besucht habe, in den Schatten stellen.
Seltsam. Es klang, als habe derselbe Mann diese Worte geschrieben. Wieder nahm sie einen anderen Band und schlug ihn an einer beliebigen Stelle auf.
23. September 2001: Das war eine spannende Nacht in dem sonst so trübsinnigen Einerlei. Wieder einmal hatte ich Gelegenheit, in die tiefen Kammern der menschlichen Seele zu blicken. Vor einer Woche war ich Zeuge einer Razzia im Club 77 an der Holstenstraße, in dem sich die türkische Unterwelt seit Jahren ein Stelldichein gibt. Sie verhafteten die süßen tschechischen Lolitas, Leasinghuren der Sinti und Roma. Der Club ist seitdem geschlossen, und der „schöne Italiano" lief mit einer Miene der Verzweiflung über den Kiez, obwohl er seine Konzession für den Club ojfiziell ja schon lange eingebüßt hatte. Seit einigen Jagen nun war der Italiano Ahmet verschwunden, und als ich heute in der Nähe durch die Straßen strich, führte mich der Verwesungsgeruch seiner Leiche zu ihm. Mit einem Kopfschuss hingerichtet, lag er im Kofferraum einer schwarzen Luxuslimousine. Es waren sicher Profikiller, denn um unnötige Blut-und Hirnspritzer zu vermeiden, hatten sie ihm vor seiner Hinrichtung eine Plastiktüte über den Kopf gezogen. Ich wollte ihn gerade näher untersuchen, als sein Bruder Oktay sich näherte...
Sabine ließ das Buch sinken. 2001 war sie zwar noch nicht beim LKA gewesen, doch sie konnte sich noch gut an den Fall erinnern. Die Fahnder waren anschließend in Ahmets Wohnung eingedrungen und hatten dort dessen Freundin Amdia gefunden, ebenfalls durch einen Kopfschuss getötet. Doch was hatte der Schreiber dieser Bücher mit alldem zu tun? War es Peter von Borgo? Sabine legte das Buch aufgeschlagen auf den Flügel, holte dann den ersten Band der Reihe und legte ihn daneben. Das Papier war vergilbt, die Tinte verblasst, und doch hätte sie jeden Eid geschworen, dass es ein und dieselbe Schrift war. Doch wie konnte das möglich sein? Das Datum lautete auf das Jahr 1800!
Ich habe schon so viele Länder gesehen und habe die menschliche Spezies wohl kennengelernt. Es sind nur die Hüllen, die sich unterscheiden. Hier in Hamburg sieht man an lauen Abenden viele holländische Frauen mit großen Regenschirm-Hüten, die wohl an die zwei Fuß über ihren Kopf ragen. Die Hamburgerinnen aus gutem Hause dagegen tragen gefaltete Kappen mit Gold oder Silber verziert. Der Unterschied zwischen den Damen und ihren Dienstmädchen ist nicht zu übersehen. Während die Wohlgeborenen geschminkt und mit schlechten Zähnen daherkommen, zeigen die Landfrauen, die viel und laut daherplappern, natürlich rote Wangen und blitzend weiße Zähne. Ich habe die Dienstmädchen beobachtet, wie sie in ihren weißen Strümpfen mit ihren Pantoffeln ohne Absätze durch die schmutzigen Straßen tippeln. Ein herrlicher Anblick, und so sind es diese einfachen Frauen, voll von prallem Leben, die mich in ihren Bann ziehen und mir Genuss
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