Der Duft des Blutes
zwei, als sie sich verabschiedeten und Sabine todmüde ins Bett fiel.
Sie war schon fast eingeschlafen, da fiel ihr das silbrig glänzende Päckchen wieder ein, das noch immer auf dem Garderobenschränkchen lag. Sollte sie noch einmal aufstehen? Das hatte bis morgen Zeit! Sie drehte sich auf die andere Seite und zog die Decke bis ans Kinn, doch die Schläfrigkeit war verflogen, und die Neugier blieb Sieger. Barfuß tappte Sabine in den Flur und kehrte dann mit dem Geschenk in der Hand ins Bett zurück.
Welch herrliche Rose! War das nun ein Liebesgeständnis? Einerseits war sein Verhalten offensichtlich, und doch blieben so viele Fragen offen. Sollte sie ihn noch einmal zum Verhör vorladen? Einen Durchsuchungsbefehl für seine Villa würde sie mit den vagen Verdachtsmomenten, die sich vor allem auf ihr Gefühl im Bauch stützten, nicht bekommen.
Ich weiß noch nicht einmal, wo er wohnt, stellte Sabine erstaunt fest und riss das Silberpapier auf. Die misstrauischen Fragen in ihrem Kopf verwehten, als sie behutsam das Buch in ihren Händen aufschlug. Sie hatte es schon einmal gesehen, in der Villa draußen am Baurs Park. Die wundervollen und doch so grausigen Aquarelle, die Bram Stokers Draculageschichte nacherzählten, zogen sie in ihren Bann.
Sabine saß in ihrem Bett und sah auf die Bilder herab. Sie waren so einfach und doch so eindringlich, dass man sich ihrem Sog nicht entziehen konnte. Die Schatten an den Wänden rückten näher. Traum und Wahrheit verwoben sich zu einem schaurigen Tanz.
Peter von Borgos Domizil
Um neun wurde Sabine vom Telefon geweckt. Mit einem Stöhnen wälzte sie sich aus dem Bett. Ihre Glieder waren von bleierner Schwere, und ihre Augenlider leisteten beim Offnen noch erheblichen Widerstand.
„Ja, wer ist da?", brummte sie und zog sich mit dem Telefon wieder ins Bett zurück.
„Ingrid hier, guten Morgen! Habe ich dich geweckt?"
„Hm."
„Nadine geht es besser. Ihre körperlichen Entzugserscheinungen sind abgeklungen, und sie wurde aus der Intensivstation entlassen. Vielleicht ist sie heute ein wenig zugänglicher."
„Es ist Sonntag, und ich habe frei!", raunzte Sabine die Freundin an, doch die lachte nur.
„Friss mich nicht gleich auf! Ich wollte dir ja nur mitteilen, dass ich nachher nach Eppendorf rausfahre, um nach ihr zu sehen. Ich möchte nur hinterher keine Vorwürfe von dir hören, ich hätte dir nichts gesagt."
„Ist ja gut. Hol mich um elf ab", seufzte die Kommissarin und zog sich die Decke wieder bis ans Kinn.
„Denn bis denn", verabschiedete sich Ingrid Kynaß.
Sabine schloss die Augen, doch fünf Minuten später klingelte es schon wieder. Dieses Mal war Julia dran, die ihrer Mama begeistert von einem aufregenden Zoobesuch berichten wollte.
„Ja, mein Schatz, das ist ganz toll", murmelte Sabine und lauschte den Beschreibungen sämtlicher Tiere. Die nächste Anruferin war Sabines Mutter, die sich wunderte, dass ihre Tochter um diese Uhrzeit noch im Bett lag.
„Es ist halt gestern etwas spät geworden", gähnte Sabine.
„Ein neuer Mann?", hakte ihre Mutter gleich nach.
Die Kommissarin ließ die gestrigen Besucher vor ihrem geistigen Auge vorbeiwandern. „Einer? Mindestens eine Handvoll!"
Sie unterbrach die bohrenden Fragen, mit denen sie daraufhin bombardiert wurde, mit dem Hinweis, noch einen Krankenbesuch erledigen zu müssen, und legte auf.
Apropos Krankenbesuch! Da fiel ihr Lars ein, und sie beschloss, kurz nach ihm zu sehen. Aber erst duschen und frühstücken! Lars hatte sich über Nacht recht gut erholt, doch er ließ sich gern von Sabine ein Frühstück ans Bett bringen, bevor sie nach Eppendorf aufbrach.
Nadine ging es sichüich besser, doch noch immer weigerte sie sich, über den Abend, an dem sie überfallen worden war, Auskunft zu geben.
„Nadine, Sie waren doch zusammen mit Frau Richter in Ronjas Wohnung", wechselte Sabine das Thema.
Misstrauisch zog die Verletzte die Augenbrauen zusammen. „Ja, warum?"
„Frau Richter hat Fotos erwähnt, die vermutlich auf dem Schreibtisch lagen. Haben Sie sie angesehen?"
„Was für Fotos?"
Sabine zuckte die Schultern. „Das möchte ich von Ihnen wissen. Die Bilder schienen Frau Richter wichtig zu sein. Irgendetwas darauf, dachte sie, könnte helfen, den Mord an Ihrer Freundin Ronja aufzuklären. Ich kann das leider nicht nachprüfen, denn als wir die Wohnung durchsuchten, waren die Fotos nicht mehr da."
„Ich habe sie nicht genommen!", verteidigte sich Nadine und verschränkte die Arme
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