Der Duft des Blutes
Seine Kleidung ließ Erinnerungen an prächtige Historienfilme wach werden. Ein eng anliegender Rock über einer prächtig bestickten Weste, silbrig glänzende Kniehosen, weiße Strümpfe und schmale Schnallenschuhe. Das tiefschwarze Haar wurde im Nacken von einer juwelenfunkelnden Spange zusammengehalten, an seinen schlanken Fingern leuchtete ein großer Smaragd.
Sabine versuchte sein Gesicht mit ihren Gedanken zu erfassen. Lange, dunkle Wimpern verschleierten seinen Blick. Da flatterten seine Lider und enthüllten glutrote Augen. Sein Blick traf sie wie ein Flammenstrahl bis ins Mark.
„Du bist mein!", formten seine Lippen laudos, als er langsam seine Hände nach ihr ausstreckte.
„Ist Ihnen nicht gut?", erklang Mikes warme Stimme neben Sabine und ließ sie zusammenfahren. Schon mit dem ersten Wort verschwand das Bild und ließ nur die undurchdringliche Schwärze zurück.
„Sie zittern ja! Soll ich Sie hinausbringen?"
„Nein, alles in Ordnung", würgte die Kommissarin hervor und ließ sich von Mike in den nächsten Raum führen. Autolärm brandete ihnen entgegen, ein Hund kläffte.
Sabines Stock stieß gegen Blech.
„Das ist ein Käfer", klang plötzlich Ingrids fröhliche Stimme in Sabines Ohr, „und da drüben sind eine Ente und ein Fahrrad an der Hauswand. Ich wäre fast gegen den Laternenpfahl gelaufen." Das Brummen eines Lastwagens übertönte für einen Moment ihre Stimme.
„Komm hierher. Das ist ein Marktstand. Riech mal, eine Zwiebel, und hier habe ich eine Orange."
Sabine fühlte die wächserne, narbige Schale der Orange und roch ihre Süße.
Vielleicht werde ich verrückt, dachte sie. Ich bin überspannt und habe mich zu sehr in den Fall hineingesteigert, und nun habe ich Halluzinationen und schlittere in einen Verfolgungswahn hinein.
„Jetzt machen wir eine kleine Bootsfahrt. Kommen Sie zu mir herüber. Hier geht es ins Bootshaus."
Verdammt, ich bin doch eine vernünftige Frau und habe schon viel in meinem Leben hingekriegt -wenn auch nicht immer optimal, das gebe ich zu -doch ohne überzuschnappen.
Der künstliche Fahrtwind fuhr ihr in die Haare, die beiden jungen Mädchen quietschten, als sie ein kalter Sprühnebel ins Gesicht traf.
Was ist nur mit mir los?, grübelte Sabine. In letzter Zeit passieren mir immer öfter komische Dinge. Warum kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wie ich nach dem Konzert in der Musikhalle heimgekommen bin? Es klaffen einfach stundenlange Lücken in meinem Gedächtnis, als hätte ich mich bis zum Exzess betrunken.
„Entspannen Sie sich nun in unserem Klangraum. Setzen Sie sich auf den Boden, lehnen Sie sich an, und dann lauschen und fühlen Sie die Töne."
Seufzend ließ sich Sabine zurücksinken. Sanfte Musik und das Plätschern von Wasser hüllten sie ein.
Ich muss mich bewusster entspannen, das ist alles, dachte sie und ließ es geschehen, dass jemand nach ihrer Hand griff. Sie dachte, es sei Ingrid, die wie viele Frauen meist kalte Hände hatte. Schlanke Finger umschlossen die ihren, dann wanderten die Fingerkuppen sanft streichelnd über ihren Handrücken.
Sabine richtete sich kerzengerade auf. „Ingrid, bist du das?"
Sie griff nach der tastenden Hand. Ein scharfkantiger Ring bohrte sich in ihre Haut, doch die fremden Finger entglitten ihr.
„Was ist? Ich bin hier", erklang die schläfrige Stimme ihrer Freundin von der anderen Seite her.
„Ach nichts. Ich glaube, da hat mich jemand verwechselt."
„Kann passieren, wenn hier keiner ein Licht anmacht", erwiderte Ingrid trocken.
In der ebenso lichtlosen Unsicht-Bar bestellten sie sich noch etwas zu trinken, machten es sich in der kunstledernen Sitzgruppe bequem und unterhielten sich mit Mike über die Probleme, die sein Alltag als Blinder so mit sich brachte. Erstaunt vernahmen die Besucher, dass er ganz alleine in einer Wohnung lebte, einkaufen ging, kochte und ohne Hilfe zur Arbeit in die Speicherstadt fand und wieder zurück nach Stellingen. Dann, als sie ihre leeren Flaschen und Gläser an der Bar abgegeben hatten, führte Mike sie zurück in die Welt des Lichtes.
„Das war doch spannend!", schwärmte Ingrid, als sie in ihre Jacke schlüpfte.
Draußen war es schon dunkel. Mit einem Aufschrei schob sie ihren Ärmel zurück und sah auf die Uhr.
„So ein Mist. Ich habe versprochen, um sieben in Elmshorn zu sein. Komm, ich fahr dich schnell heim."
Sabine wehrte ab. „He, kein Problem. Fahr du zu deinen Eltern. Ich finde schon nach Hause. Ist mir ganz recht, wenn ich mich noch
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