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Der Duft des Blutes

Titel: Der Duft des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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entlang, an den Landungsbrücken vorbei und überquerte auf der Brooksbrücke den Zollkanal. Sie passierten die Gitterzäune, die das ganze Freihafengelände umschlossen. Das Zollhäuschen am Ende der Brücke schien heute unbesetzt. Der Twingo hoppelte über das unebene Kopfsteinpflaster an den roten Backsteinspeichern vorbei.
    „Ha, wer sagt's denn!", triumphierte Ingrid und quetschte den Wagen vor dem Speicherblock W in eine schmale Lücke.
    „Herzlich willkommen beim Dialog im Dunkeln. Ich bin Mike", begrüßte der blinde Führer seine zehnköpfige Gruppe. „Nehmen Sie sich jeder einen Blindenstock und folgen Sie mir für eine Stunde in die Welt eines Blinden. Wir werden gemeinsam durch verschiedene Räume gehen. Tasten Sie, hören Sie, fühlen Sie. Lassen Sie sich auf das Abenteuer ein! Nur keine Angst. Ich passe schon auf, dass keiner verloren geht."
    Nach diesen aufmunternden Worten schob der junge Mann einen schweren Vorhang beiseite, hinter dem ein mit schwarzen Teppichen ausgekleideter Gang sie in die Finsternis führte. Zwei Mädchen kicherten und tuschelten, eine junge Frau griff Hilfe suchend nach der Hand ihres Freundes. Mutig schwenkte Ingrid ihren Blindenstock kurz über dem Boden im Halbkreis hin und her, schritt den Gang entlang und dann an Mike vorbei in den ersten Raum. Die Kommissarin folgte ihr. Die Luft wurde plötzlich frischer, Vogelstimmen schwebten um sie, Kies knirschte unter ihren Füßen. Unsicher setzte Sabine einen Fuß vor den anderen. Sie hörte die anderen lachen und schwatzen.
    „Kommen Sie jetzt zu mir herüber", forderte Mike seine Schäfchen auf. „Immer dem Kiesweg folgen. Befühlen Sie die Pflanzen am Wegesrand! Hier, an der Stelle, an der ich stehe, ist eine Brücke. Strecken Sie die Hand aus, dann können Sie den kleinen Wasserfall berühren, der über eine Felswand herabrinnt."
    Sabine drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Ihre Augen versuchten die Finsternis zu durchbohren, doch sie fanden nur undurchdringliche Schwärze. Die wild tanzenden hellen Flecken in der Dunkelheit waren nur eine Reaktion der verwirrten Sinne.
    Doch nicht nur ihre Augen gaukelten ihr Trugbilder vor. Sie hörte das Blut in ihren Ohren rauschen und fühlte einen kalten Hauch in ihrem Nacken. Es war ihr, als nähere sich ein Schatten, schwärzer und undurchdringlicher als die Finsternis des abgedunkelten Speicherraumes. Wie ein Mantel hüllte er sie ein. Ein leises Flüstern, dicht an ihrem Ohr, durchdrang die Geräusche des Waldes.
    „Lass es! Du kannst hier drinnen mit deinen Augen nichts sehen. Schließe die Lider und vertraue deinen Sinnen und deiner Ahnung, dann wirst du sehen!"
    Sabine fuhr herum, ihre Hand schoss nach vorn und tastete hektisch nach allen Seiten, doch nur ein kühler Hauch streifte ihre Haut.
    „Kommen Sie", rief Mike, „Sie sind die Letzte. Die anderen sind schon über die Brücke rüber." Schritte näherten sich, dann fühlte sie seine Hand an ihrem Ellenbogen. Er brachte sie bis zur Brücke, wo Ingrid wartete und ihre Hand ergriff.
    „Komm hier runter. Das ist ein tolles Gefühl, wie der Boden schwingt. Achtung, das ist eine Hängebrücke. Ich hoffe, mir wird nicht schlecht." Sie kicherte. Sabine schüttelte die seltsame Beklemmung ab und folgte der Freundin.
    Im nächsten Raum empfing sie schwüle Feuchte. Sie tasteten sich durch Lianen, zwischen Bäumen hindurch, dann folgten ein mächtiger Totempfahl und eine geschnitzte Maske.
    „Haben Ihre Hände sehen gelernt?", raunte da die Stimme wieder und ließ die Kommissarin zusammenzucken. „Kommen Sie, was können Ihre Finger sehen, wenn Sie sie ausstrecken?"
    Sabine klemmte den Blindenstock zwischen die Beine und streckte die Hände aus. Sacht strich sie über die Schnitzereien. Die vagen Schatten in ihrem Kopf wurden klarer und nahmen die Kontur einer Eule an.
    „Gut, und jetzt versuchen Sie es mit Ihrem Herzen und mit Ihrem Gefühl. Lassen Sie los!"
    Wieder stießen ihre Hände ins Leere, als die Kommissarin die Quelle des Flüsterns zu erhaschen versuchte. Sie zog die Hände zurück. Ihr Herz raste. Was war es, das dort in der Leere schwebte und ihr lauüose Gedanken einhauchte? Sabine atmete tief ein und ließ dann die Luft langsam entweichen. Da war etwas, etwas, das sie nicht fassen und ihr Verstand nicht begreifen konnte. Der Schatten griff nach ihr und hüllte sie ein, doch plötzlich zog er sich zusammen. Sie konnte eine Gestalt erahnen, einen jungen Mann mit blassem Gesicht.

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