Der Duft des Bösen
mir Morton geschenkt hat.« Über seinen finsteren Blick musste sie kichern. »Zum Verscheuern muss ich sie doch finden, oder?«
Der Anhänger lag weder auf noch in der Frisierkommode, er lag auch nicht in der Schublade, wo Zeinab ihren Schmuck aufbewahrte, und auch nicht zwischen ihren Kosmetika – immerhin zwei riesige Schubladen. Was hatte sie am Freitag getragen? Vermutlich ihr übliches Outfit, einen hautengen weißen Pullover zum schwarzen Minirock. Das trug sie doch immer, auch jetzt wieder. Ihre Lederjacke kam nur bei Eiseskälte zum Einsatz, und unter einem Mantel hätte sich Zeinab nie versteckt. Lieber würde sie sich eine Lungenentzündung holen. Sie durchsuchte die Jackentaschen. Dort befand sich der Anhänger auch nicht, was nicht weiter verwunderlich war, da sie diese Jacke seit letzten Freitag nicht mehr getragen hatte.
Was hatte sie an diesem Tag gemacht? Sie war mit Morton zur Arbeit gekommen, hatte den Anhänger herumgezeigt, hatte sich mit Freddy gestritten, wobei er sie Nutte genannt und sie Ludmilla als russische Kuh bezeichnet hatte. Danach waren ein paar Kunden da gewesen, und dann – plötzlich fiel es ihr wieder ein – hatte sie Inez erzählt, sie würde mit Rowley zum Mittagessen gehen, und Inez hatte gemeint, sie solle den Anhänger ablegen, was sie auch getan hatte. Aber was hatte sie damit gemacht? Sie konnte sich an nichts erinnern. Während sie ihr Make-up erneuerte, hatte sie ihn nur auf den Tisch gelegt, dessen Platte hinten an den Sockel des Spiegels stieß. Dort musste sie ihn liegen gelassen haben. Sie hatte ihn schlicht und einfach vergessen und im Laden liegen gelassen …
Nun, da würde er immer noch liegen. Morgen würde sie ihn wiederbekommen. Gerade als sich Reem Sharif widerwillig mit Algys Vorschlag einverstanden erklärte, kam sie wieder ins Wohnzimmer.
»Wenn diese Kids noch ein Stück von meiner Schokolade essen, wird ihnen hundeelend. Und wenn ich die halbe Nacht hier bleiben soll, will ich ein ordentliches Essen. Wohin geht ihr essen?«
»Zum Chinesen«, sagte Algy.
»Dann könnt ihr mir einen Teller Zitronenhühnchen mit Eierreis bringen – ach, und als Vorspeise Krupuk. Und denkt daran, keine Minute nach zehn. Bis dahin bin ich ohnehin verhungert.«
Die Polizei habe Will nicht mitgenommen, erzählte Becky Inez am Telefon, sondern ihn fortwährend wegen eines Einbruchs verhört. Sei denn im Laden eingebrochen worden?
Inez erzählte ihr alles. »Dass Will damit etwas zu tun hat, ist ein absurder Gedanke. Er war doch schon seit einer Woche nicht mehr hier.«
»Ob sie das wirklich glauben, weiß ich nicht«, sagte Becky, »aber es ging aus ihren Bemerkungen hervor. Sie wollten unbedingt meine Wohnung durchsuchen, doch da bin ich hart geblieben. Dagegen habe ich mich resolut gewehrt, und dann sind sie gegangen. Dieser DC Jones meinte, er wolle sich einen Hausdurchsuchungsbefehl besorgen, aber das war gestern Abend, und seither war keiner mehr da.«
»Ich kenne Jones«, meinte Inez. »Nicht so gut wie Zulueta und Osnabrook, von Crippen wollen wir gleich gar nicht reden, aber ich kenne ihn.«
Becky entschuldigte sich, weil sie sich eigentlich hätte erkundigen sollen, ob Inez etwas fehlte. Sie hörte zu, während Inez die vermissten Gegenstände auflistete. Über Ludmillas Trauringe musste sie lachen.
»Will kann wieder sprechen«, sagte Becky. »Seit gestern Abend. Vermutlich durch den Schock beim Anblick von Jones.«
»Dann wird er also bald wieder hierher zurückkommen?«
»Ich hoffe es, Inez«, erwiderte sie. Inez entdeckte einen wehmütigen Unterton in ihrer Stimme.
Dieser Anruf war gekommen, während Inez auf das Eintreffen von Zeinab wartete, die genauso spät dran war wie immer. Zum ersten Mal seit letzten Oktober – damals hatte er mit einer Erkältung im Bett gelegen – war Jeremy an einem Werktagmorgen nicht auf seinen Tee in den Laden gekommen. Dies war zwar keine formelle Vereinbarung, trotzdem hätte er sie wirklich anrufen und davon abhalten können, den zusätzlichen Teebeutel in die Kanne zu hängen. Sie hatte ihn in Verdacht, dass er nicht zur Arbeit gegangen war. In jüngster Zeit kam es in seinem Leben immer häufiger zu widersprüchlichem Verhalten. Mindestens dreimal hatte er ihr erzählt, er besäße kein Auto. So etwas käme ihm in London gar nicht in den Sinn. Er halte es für unsozial, die Atmosphäre durch Abgase zu verunreinigen. Natürlich war es möglich, dass es sich bei dem Wagen, den sie gesehen hatte, nicht um
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