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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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ab.
    »Überraschung, Überraschung«, sagte die Stimme, die er morgens gehört hatte. »Schon wieder ich.«

21
    Er war mit jeder ihrer Forderungen einverstanden gewesen. Eine andere Wahl hatte er nicht. Die meisten Leute haben in sämtlichen Lebensbereichen gewisse Wahlmöglichkeiten. Natürlich hängt es davon ab, was sie getan haben beziehungsweise womit man ihnen droht. Ein paar schmutzige Fotografien, die in die falschen Hände gelangt sind, die Chance, dass ein Fehltritt auffliegt – damit kann ein einfallsreicher Mann oder eine Frau fertig werden beziehungsweise sich tapfer den Konsequenzen stellen, indem man die Haltung vertritt: »Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert.« Wird allerdings direkt oder indirekt mit der Enthüllung einer Mordserie gedroht, bleibt dem Mörder kein anderer Ausweg als nachzugeben. Eine Enthüllung ist schlimmer, als sich den Drohungen zu fügen, egal, wie viel es kostet.
    Sie hatte zehntausend Pfund gefordert. Sie sei allein, sagte sie, aber er glaubte ihr nicht. Sie behauptete zwar, sie hätte den Einbruch nicht allein gemacht, da sei noch einer dabei gewesen, ihr Freund, aber der hätte die Kassette und das, was sie drinnen gefunden hatte, nicht gesehen. Ferner sagte sie, ihr Vater hätte sie aufgebrochen, aber nicht die Bedeutung des Inhalts erkannt. Halb glaubte er ihr. Nur eine Frau, meinte sie, könnte diese Dinge wiedererkennen und ihre wahre Bedeutung einschätzen. Und das leuchtete ihm ein. Es könnte wahr sein. Sie wolle zehntausend Pfund haben, sie sei arm. Sie und ihr Freund bräuchten das Geld als Kaution für eine Wohnung. Schließlich müssten sie in London irgendwo wohnen, und die Londoner Preise seien längst durch die Decke geschossen. Schön, vielleicht möchte sie noch einen Nachschlag haben, garantieren könne sie nicht, dass schon Schluss sei. Einen kleinen Nachschlag. Das klang so offen, dass er beinahe überzeugt war. Aber egal, ob überzeugt oder nicht, zahlen musste er. Er musste sich mit ihr treffen und bezahlen, um Zeit zu gewinnen und weil er keine Wahl hatte.
    Sie würde ihn am nächsten Tag anrufen, um ihm Zeit und Ort zu nennen.
    »Lassen Sie sich nicht zu lange Zeit damit«, sagte er, obwohl ihm dieses Betteln verhasst war. Und doch fürchtete er die Auswirkung auf seinen Verstand, wenn er noch einmal einen solchen Tag durchleben müsste. »Bitte am Vormittag.«
    »O.k., werd’s versuchen.«
    Nachdem sie aufgelegt hatte, herrschte entsetzliche Stille. Mitten in Paddington, im Herzen einer übervölkerten Stadt, hatte er den Eindruck, als sei London noch nie so ruhig gewesen. Er begann, laut Selbstgespräche zu führen. »Sie hat angerufen«, schrie er in die Stille hinein. »Sie hat tatsächlich angerufen. Wenigstens ist das Warten vorbei. Es ist vorbei. Das Schlimmste kenne ich und kann schlafen.«
    Er konnte es nicht. Eine Weile lag er im Dunkeln da, dann bei Licht. Er dachte über den Vorfall nach, über sich selbst. Er verspürte keinen besonderen Überlebenswillen, nicht, wenn er oder das, was er aus reinem Selbstbetrug sein anderes Ich nannte, weiterhin Frauen umbringen würde. Doch wenn sie zur Polizei ginge, würde er nicht sterben, sondern jahrelang hinter Gittern leben. Und genau das konnte er nicht ertragen. Der Tod käme ihm durchaus gelegen, aber den fand man nicht so leicht. Er legte sich mit dem Gesicht nach unten, dann auf die Seite, dann auf den Rücken. Irgendwann redete er sich im Halbschlaf ein, sie würde morgens um sechs anrufen, um sieben Uhr. Er hätte es besser wissen sollen. Solche Leute gehen morgens erst ins Bett. Um sechs oder sieben Uhr würde sie sich zum Schlafen hinlegen, bis es um drei Uhr Zeit zum Aufstehen wäre. Drei Uhr nachmittags war ihr Morgen. Um acht Uhr stand er auf, trank Wasser, fiel aufs Bett und schlief bis Mittag tief. Erneut überrollten ihn die Ereignisse vom Vortag, und er erlebte alles noch einmal. Wieder hörte er ihre Stimme und erinnerte sich, dass er sich zum Zahlen entschlossen hatte. Nach dem Aufstehen hatte er sogar Angst zu duschen. Stattdessen saß er im Bademantel da und wartete auf ihren Anruf.
     
    Becky rief Kim im Frisörsalon an. Wenn sie sicher sei und es sich nicht anders überlegt hätte, könnte man es versuchen. Obwohl Will bei Befragen kaum gezeigt hatte, ob ihm der Vorschlag gefiel oder nicht, konnte sie erkennen, dass er darüber nicht entsetzt war. In gewisser Weise gefiel ihm die Vorstellung, wieder in seiner eigenen Wohnung in der Star Street zu

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