Der Duft des Bösen
Riesenbusen und schloss die Augen.
Am Dienstagabend hatte Jeremy das ganze Geld beisammen und wartete ungeduldig auf den weiteren Fortgang der Dinge. Wenn er ihnen schon zehntausend Pfund geben musste, dann wollte er die Sache wenigstens hinter sich bringen. Er versuchte, nicht daran zu denken, dass sie das Geld nehmen würden und danach noch mehr haben wollten. Eingedenk ihrer Gewohnheiten rechnete er sich aus, dass ihr Anruf gegen drei Uhr nachmittags käme und sie noch für den gleichen Abend oder den nächsten Tag einen Ort für die – wie nannte man das: die »Übergabe«? – benennen würden. Flüchtig dachte er neidvoll an jene Leute, die angesichts einer Erpressung in der Lage waren, der Polizei die Art der Drohung mitzuteilen und sich deren Hilfe zu versichern. Das war für ihn nie in Frage gekommen.
Am Mittwoch hatte ihn seine Mutter in einem Brief gebeten, ihr ein ganz bestimmtes Parfüm zu besorgen. Nicht für sie, sondern als Geschenk für ein junges Mädchen, das manchmal Erledigungen für sie machte. Selbstverständlich würde sie ihm das Geld wiedergeben, sobald sie ihn am Montag sah. Über dieses Versprechen musste er lächeln. Schon der Gedanke daran war einfach absurd. Am Samstagvormittag würde er ein Kaufhaus aufsuchen und das Zeug besorgen. Er notierte sich den Namen.
Obwohl er überzeugt war, dass der Anruf nicht vor dem Nachmittag käme, sah er sich außer Stande, wegzugehen. Und doch hatte er sich mittlerweile einigermaßen an diese besondere Art innerer Spannung gewöhnt und brachte es fertig, draußen auf dem Dachgarten zu sitzen, ohne zu befürchten, er würde das Läuten nicht hören. Seit er den Brief gelesen hatte, hatte er fortwährend an seine Mutter gedacht, an ihre unkritische Liebe zu ihm, ihre übersensible Haltung, ihre Rücksicht. Nie hätte sie ganz selbstverständlich am kommenden Montag, einem Feiertag, mit ihm gerechnet, wenn er sich nicht selbst eingeladen hätte. So aber hatte sie auf seine Frage, ob er an diesem Tag kommen könne, vorsichtig gesagt: »Bist du sicher, Schatz, dass du die Zeit dafür erübrigen kannst?« Und als er ihr versichert hatte, dass er sich darauf freue: »Ganz lieb von dir, dass du das sagst.«
Wie wäre es gewesen, wenn sein Vater überlebt hätte? Der dreizehnjährige Jeremy war bis zum vorletzten Tag vor dessen Tod bei ihm gewesen. Jedenfalls bestätigte ihm das seine Mutter, als er ihr erklärte, er könne sich nicht daran erinnern. Wenn er sich konzentrierte und versuchte, die seltsam dunklen Nebelschwaden zu durchstoßen, die wie eine feste Mauer davor lagen, bildete er sich mitunter ein, er könne das eingefallene gelbe Gesicht seines Vaters auf dem Kopfkissen im Krankenhaus sehen. Doch das waren lediglich Einbildungen, sicher konnte er nicht sein. Er scheute sich, seine Mutter zu fragen, ob sein Vater am fraglichen Tag Gelbsucht gehabt hatte.
Ein einziges Mal, und nur einmal, hatte er den Eindruck, als würde er beim Wiederbeleben dieses makabren Bildes noch eine andere Figur im Raum sehen, und das war nicht seine Mutter. Ob Frau oder Mann, auch das konnte er nicht sagen; er war sich nur sicher, dass es sich nicht um die unscheinbare Mutter seines Freundes Andrew handelte. Und während er sich noch den Kopf darüber zerbrach, verschwand das Bild, als wäre es nie da gewesen. Allmählich fügte er sich in die Überzeugung, dass es für ihn nie eine Erinnerung daran geben würde. Warum war das auch wichtig? Nach anfänglicher Liebe zu seinem Vater hatte er ihn im Laufe der Zeit nicht mehr gemocht und das Totenbett, an dem er fast gestanden hatte, aus seiner Erinnerung getilgt. Also darum war es wichtig. Und es gab noch einen Grund: Er begann sich zu fragen, ob sein Motiv für die Ermordung dieser Mädchen seinen Ursprung vielleicht in den letzten Lebensstunden seines Vaters hatte, in jenen vergessenen Bildern, deren Erforschung vielleicht doch lebenswichtig war.
Die Sonne schien warm, im Trog blühten die Veilchen und im grünen breiten Topf der schneeweiße Pfeifenstrauch. Ihre grundverschiedenen und doch gleich köstlichen Düfte mischten sich und zogen beim kleinsten Windhauch an ihm vorbei. Und er schlief im gepolsterten Rattansessel ein, bis er mit einem Aufschrei zusammenzuckte. Das Telefonklingeln hatte ihn geweckt.
»Das zieh ich nicht allein durch«, hatte Julitta gesagt. »Der bringt mich vielleicht noch um. Die anderen hat er auch abgemurkst, und die haben nichts gemacht.«
Das alles hatte Anwar bereits unter
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