Der Duft des Bösen
Fall die neuesten Attraktionen der Hauptstadt verpassen.
Während Crippen in dem grauen Samtsessel Platz nahm, schlenderte Zulueta durch den Laden und benahm sich fast wie Freddy. Mit einer Ausnahme. Er hob ein scheußliches viktorianisches Halsband aus Bernstein und Tombak hoch und fragte sie nicht nach dem Preis, sondern danach, was sie dafür haben wolle. Der subtile Unterschied war ihr nicht entgangen.
»Achtundvierzig Pfund«, sagte sie.
»Vierzig«, erwiderte Zulueta.
»Tut mir Leid, aber ich gebe keinen Rabatt. Das ist der Preis.«
Es sah aus, als wollte Zulueta widersprechen, aber in dem Moment traf Zeinab ein und blieb unmittelbar hinter der Tür stehen. Der Anblick beunruhigte sie, und das konnte sie nicht verbergen. Crippen stand auf. Seine Blicke hingen ungläubig an ihren Ohrringen.
»Was gucken Sie so?«, sagte Zeinab im Straßenjargon eines jungen streitsüchtigen Pubbesuchers.
»Hier geht es nicht um Sie, sondern um ein Objekt. Miss Sharif, woher haben Sie diese Ohrringe?«
»Das geht Sie zwar nichts an, aber sie sind ein Geschenk meines Verlobten.«
»Von welchem?«, hätte Inez am liebsten gefragt, sagte aber nichts. »Diese Ohrringe«, meinte Zulueta – das Bernsteincollier war längst vergessen –, »haben sehr viel Ähnlichkeit mit dem Paar, das Jacky Miller bei ihrem Verschwinden trug.«
»Sie machen Witze. Das sind echte Diamanten.«
»Nun, Miss Sharif«, sagte Crippen, »vielleicht hätten Sie die Güte, sie abzulegen, damit wir sie mit einem Foto von den vermissten Ohrringen vergleichen können. Und da wir schon mal beisammen sind: Geben Sie uns doch eine Erklärung, warum Sie uns eine falsche Adresse Ihres Wohnsitzes gegeben haben.«
Aus irgendeinem Grund bekam Zeinab plötzlich bessere Laune. Sie ging durch den Laden, streifte ihre Schuhe ab und schlüpfte in hochhackige Sandaletten. »O.k., dort hat mein Paps gewohnt, aber der ist weggezogen. Jetzt lebt er mit meiner Mama in Minicom House 22, Lisson Grove.« Im Hinblick auf ihre Mutter entsprach dies der Wahrheit. Crippen verzog das Gesicht. Am liebsten hätte er gesagt, ihre Familie sei schon ganz schön in der Welt herumgekommen, besann sich dann aber eines Besseren. »Wenn Sie unbedingt wissen wollen, woher meine Ohrringe stammen, können Sie nebenan bei Mr. Khoury nachfragen. Dort hat sie mein Verlobter gekauft.«
Crippen nickte, und alle drei zogen ab. Es müsse sich um ein Geschenk von Rowley Woodhouse handeln, dachte Inez. Morton Phibling würde nie einen relativ schlicht ausgestatteten Juwelier wie Mr. Khoury beehren. Währenddessen hielt draußen der Van von Keith Beatty, und Will stieg aus. Hat etwas vergessen, vermutete Inez. Wie immer kam er durch den Nebeneingang herein. Gerade, als er mit einem Paket – vielleicht sein Mittagessen – wieder auftauchte, verließen Crippen, Zulueta und Zeinab Khourys Laden. Ohne einen bestimmten Grund öffnete Inez die Ladentür und blieb darin stehen. Offensichtlich war es Zeinab gelungen, einen Beweis für die Herkunft der Ohrringe und vielleicht sogar für deren überlegene Qualität gegenüber dem vermissten Paar zu liefern. Im Vollgefühl ihres Triumphes rief sie gnädig: »Hallo, Will, wie geht’s? Hab dich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.«
Will wirkte verängstigt, wie immer, wenn Zeinab ihn ansprach. Mit einem Blick über die Schulter murmelte er irgendetwas vor sich hin und rannte fast im Laufschritt um den Van herum zur Beifahrertür. Zulueta starrte ihm argwöhnisch nach. Eines musste Inez zugeben: Durch sein Benehmen wirkte er wie jemand, der etwas auf dem Kerbholz hatte – das Allerletzte, was auf den einfältig-unschuldigen Will zutraf.
Trotz des entgangenen Verkaufs war Inez erleichtert, als die beiden Polizisten zu ihrem Wagen gingen, anstatt wieder in den Laden zu kommen. Kaum war Zeinab drinnen, fing sie an zu lachen. Sie stand vor »ihrem« Spiegel und frischte ihr Make-up auf, um sich auf die Ankunft von Morton Phibling vorzubereiten.
11
Ausflüchte war Will nicht gewöhnt. Die Vorstellung, Keith zu bitten, er solle ihn um sechzehn Uhr fünfzehn auf dem Rückweg von Ladbroke Grove an der Sixth Avenue absetzen, passte ihm gar nicht. Angenommen, Keith würde den Grund erraten, warum er dort sein wollte. Da er ihm den nicht sagen konnte, müsste er etwas erfinden, also lügen. Dies war aber zu kompliziert und schwierig, und außerdem war es falsch. Will mochte zwar nicht den Verstand eines Erstklässlers haben, geschweige denn den eines
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