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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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sie nun schon nicht mehr besucht. Zwar hegte er nicht direkt Gewissensbisse, aber überrascht war er dann doch, als seine Nachrechnungen ergaben, dass er seit März nicht mehr in Oxton gewesen war, wo sie lebte. »Ich werde auf Besuch zu meiner Mutter hinauffahren«, sagte er.
    »Ach ja, sie lebt irgendwo in den Midlands, nicht wahr?«
    »In Market Harborough«, sagte Jeremy, was zwar gelogen war, aber nicht sonderlich. Seine Mutter lebte gleich daneben, im Landkreis Nottinghamshire. Sollte sie ruhig glauben, die Mutter von Jeremy Quick würde woanders wohnen. Herausfinden könnte sie das nie. »Und was machen Sie?«
    »Ich besuche an diesem Montag immer meine Schwester und deren Mann. Sie wohnen nicht weit von hier, in Highgate.«
    Bis auf Erkundigungen nach den Feiertagsplänen von Zeinab Sharif, Will Cobbett und seiner Tante, Ludmilla Gogol und Freddy Perfect, Morton Phibling, Rowley Woodhouse und Mr. Khoury schien ihr Gesprächsstoff erschöpft zu sein. Jeremy trank seinen Tee aus, bedankte sich bei Inez und machte sich auf den Weg zur U-Bahn-Station Paddington, von wo aus ihn die Circle Line zur Kensington High Street bringen würde.
     
    Mit seiner ersten Einschätzung über die veränderte Einstellung, die Inez ihm gegenüber hegte, hatte er ins Schwarze getroffen. Allerdings verdächtigte sie ihn nicht, der zu sein, der er tatsächlich war. So etwas wäre ihr nicht im Entferntesten eingefallen, doch dass er sie über Belinda und Belindas Mutter belogen hatte, davon war sie überzeugt. Sie befürchtete, er müsse mindestens so zu Hirngespinsten neigen wie Zeinab und sogar noch weit mehr als Ludmilla. Anfangs waren in ihr tatsächlich romantische Gefühle für ihn aufgekeimt. Sie hatte sich eingebildet und tat es noch, er hätte ihr gegenüber mehr Wärme gezeigt, als sie von ihm im Umgang mit allen anderen erlebt hatte. Sie wusste noch allzu gut, wie sehr er sich für ihren ungewöhnlichen Vornamen interessiert hatte. Vielleicht hatte sie die Signale falsch gedeutet. Leider hatte sie ihn im altmodischen Sinne schlicht und einfach für einen Ehrenmann gehalten und war enttäuscht.
    Die ganze Sache war des Bedauerns und der Vorwürfe nicht wert. Sie brachte die Tassen in die Küche, spülte sie ab und trug den Bücherständer samt Inhalt auf die Straße hinaus. Gestern hatten sie nicht weniger als vier Stück verkauft – ein Rekord? Hoffentlich käme die Polizei heute nicht vorbei. Sie hatte die Nase voll von ihnen, von Zuluetas großspuriger Art und Crippens rüpelhaftem Benehmen.
    Und tatsächlich – keiner kam, nicht einmal Zeinab. Inez sah, wie Freddy draußen auf der Straße in Begleitung seines Freundes, dieses Anwar, spazieren ging. Eine höchst unpassende Beziehung, auch wenn sie nicht im Geringsten daran zweifelte, dass sie gänzlich unschuldig war. Gegenüber dem fünfzehn- oder sechzehnjährigen Anwar nahm Freddy eine Vaterrolle ein. Wie hatten sie sich kennen gelernt, und was fanden sie aneinander? Natürlich gehörten beide »ethnischen Minderheiten« an – was für ein plumper Ausdruck –, doch in einer Umgebung, wo überwiegend Leute lebten, deren Eltern aus dem südasiatischen Raum, der Karibik oder dem Mittleren Osten stammten, war das kaum ein triftiger Grund für eine persönliche Beziehung. Solche Dinge waren oft mysteriös.
    Als Zeinab kurz nach zehn Uhr immer noch nicht aufgetaucht war, rief Inez sie auf ihrem Handy an. Es war abgeschaltet. Nach einigen Minuten Wartezeit fiel ihr wieder die Adresse ein, die Zeinab der Polizei angegeben hatte, und sie suchte im Telefonbuch nach der Familie Sharif. Eine Frau hob ab. Zutreffenderweise hielt Inez sie für Zeinabs Mutter und erkundigte sich, wo ihre Tochter bliebe.
    Reem Sharif lag noch immer im Bett. »Angeblich ist es ein Virus«, sagte sie mit vollem Mund. Sie naschte gerade ein mit Creme gefülltes Schokoei, das noch von Ostern übrig war.
    »Sie meinen, sie ist krank und kommt nicht zur Arbeit?«
    »Sie sagen es. Später werde ich rübergehen. Wär’s das?«
    »Vielleicht könnten Sie sie bitten, bei Inez anzurufen.«
    »Jou. Tschüss.«
    Später werde ich rübergehen. Was sollte das heißen? Wohin hinüber? War es möglich, dass Zeinab innerhalb von zwei Tagen, seit sie Crippen erzählt hatte, ihre Eltern wohnten im Minicom House, aus- und bei Rowley Woodhouse oder Morton Phibling eingezogen war? Inez erwog bereits einen Anruf bei Morton zu Hause am Eaton Square – sollte er überhaupt im Telefonbuch stehen –, da tauchte dieser

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