Der Duft des Bösen
nichts getan, um ihr Arbeitszimmer auf den Empfang von Will vorzubereiten. Es sah aus, wie sie es vor zwei Tagen verlassen hatte: Der Laptop stand offen, überall lagen Bücher und Papiere verstreut, der Papierkorb war halb voll. Sie redete sich ein, sie müsse optimistisch sein. Dieses Trauma und seine Auswirkungen würden vorübergehen, er würde seine Sprechfähigkeit wiedergewinnen und binnen weniger Tage in seine Wohnung in der Star Street zurückkehren. Sicher wäre es unnötig, alle ihre Sachen aus dem Zimmer zu räumen und es neu zu möblieren. Eines wusste Becky: Egal, wie sehr man sein Privatleben hütete – wer in London wohnte, musste im Notfall einen Schlafplatz für einen Freund haben. Das Sofa, das hier drinnen stand, war so gebaut, dass man es in ein bequemes Bett verwandeln konnte. Nachdem sie Will die Treppe hinaufgebracht, in die Wohnung geschafft und ihn mit Tee und Kuchen versorgt hatte, machte sie sich daran, das Bett umzubauen. Das war schwieriger und erforderte mehr körperliche Kraft, als ihr bewusst gewesen war. Als es geschafft war, dachte sie, dass sie dies nicht oft würde tun wollen.
Der Schreibtisch und der Arbeitsplatz samt Computer und Drucker könnten bleiben, wo sie standen. Auch der Fotokopierer, die Lexika, der Aktenvernichter und der große Weidenkorb. Wenn sie die Stühle und den Tisch herausnehmen müsste, müsste sie irgendwo einen Platz finden, um sie aufzustellen. Aber wo? In der übrigen Wohnung war dafür wirklich kein Platz.
Will saß schweigend im Wohnzimmer. Das Baiser hatte er gegessen, das Stück Obstkuchen aber stehen gelassen, was bei ihm noch nie vorgekommen war. Er lächelte sie nicht an, ja, er sah noch nicht einmal hoch. Heftig verwünschte sie, wenn auch im Stillen, die Polizeibeamten, die ihm das angetan hatten. Nach einer Weile, nach wenigen verzweifelten Minuten, schaltete sie im Fernsehen auf eine der schrillen Quizshows, die er normalerweise so sehr liebte. Diesmal hob er den Kopf und fixierte mit den Augen den Bildschirm. Allerdings schien er unter den lauten Stimmen und dem johlenden Gesang der Gruppe, die den Zuschauer alle paar Minuten von jeder geistigen Herausforderung ablenkte, ein wenig zusammenzuzucken. Schmerzhaft schoss ihr die Frage durch den Kopf, ob ihn diese Leute vielleicht aus irgendeinem Grund an Crippen und Jones mit ihren barschen Fragen erinnerten.
Wenigstens war er beschäftigt. Sie stand auf, um sich einen Drink einzuschenken. Hatte sie schon jemals einen so nötig gebraucht? Als sie zum Schrank hinüberging, bemerkte sie das Lämpchen am Telefon. Während der ganzen Horrorgeschichte hatte sie ihren früheren Kummer und die Nachricht, die sie für James hinterlassen hatte, vergessen. Jetzt fürchtete sie sich beinahe vor dem, was sie erwarten mochte. Dennoch hörte sie ihre Nachrichten ab. Eine war von Inez, die andere von Keith Beatty, der wissen wollte, wo Will steckte. Die dritte war von James.
»Becky«, sagte er, »hier ist James. Du hast mich um einen Rückruf gebeten. Ich habe es auf deinem Handy versucht, aber da ist ständig belegt.« Das müsste nachmittags gewesen sein, als sie von der Polizeistation aus immer wieder ihr Büro angerufen hatte. »Tut mir Leid, dass ich an jenem Tag einfach so gegangen bin. Ich hatte deswegen schon Gewissensbisse, aber als ich mich entschloss, dich anzurufen, habe ich mir eingebildet, du seist zu wütend, um mit mir zu sprechen. Ich werde dich heute, Donnerstag, den fünfundzwanzigsten, abends um neun Uhr anrufen. Vielleicht können wir uns treffen.«
Absolut verständlich und ziemlich vernünftig. Eigentlich sollte sie hocherfreut sein, was sie auch gewesen wäre, wenn er vor dem Mittagessen angerufen hätte. Mit einem zweiten Drink in der Hand – den ersten hatte sie beim Abhören der Nachricht in einem Schluck hinuntergekippt – setzte sie sich erneut neben Will. Er legte eine Hand auf seine Lippen. Sie wusste Bescheid. Er versuchte, ihr zu erklären, dass er nicht sprechen könne und den Grund dafür nicht wüsste. Die Wörter wollten einfach nicht kommen.
»Kein Problem«, sagte sie aufmunternd, »du wirst schon wieder reden können. Wahrscheinlich morgen. Zerbrich dir deshalb nicht den Kopf. Schau, das ist der Mann im Fernsehen, den du magst.«
Zu ihrem Entsetzen sah sie, dass ihm Tränen in den Augen standen. Sie nahm seine Hand, drückte sie und saß einfach nur da. Ihre Gedanken wanderten zwischen seinen Nöten und ihren eigenen hin und her. Angenommen, Will fände die
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