Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)
eingeliefert worden.« Er zögerte. »Ich weiß, ich bin zu früh dran, aber ich habe sie gestern gefunden und mache mir ziemliche Sorgen.«
Die Schwester ging suchend die Unterlagen der Nachtschicht durch und sah dann auf.
»Sie ist operiert worden und liegt jetzt auf der Intensivstation. Ich weiß allerdings nicht, ob sie schon Besuch haben darf.«
Oliver bedankte sich und ging zum Aufzug.
Die Schwester rief ihm nach: »Sie müssen sich auf der Station melden! Dort wird man Ihnen einen Kittel...« Er unterbrach sie freundlich lächelnd. »Ich kenne mich aus. Danke.«
Trotz der frühen Stunde hielt ihn niemand auf. Alle, die ihm begegneten, kannten ihn noch gut. Die Umgebung war ihm durch Kellys Erkrankung bestens vertraut. Er schob die schrecklichen Erinnerungen, die ihn heimsuchten, so gut wie möglich beiseite und zog mechanisch den sterilen Kittel über, den er beim Betreten der Station bekommen hatte. In ihrem Zimmer blieb er zunächst wie angewurzelt stehen, als er bemerkte, dass man ihre Arme am Bett fixiert hatte. Er brauchte einige Sekunden, um sich darüber klar zu werden, dass es sich hierbei wohl um eine Sicherheitsmaßnahme handelte. Betroffen trat er näher und löste die Verschlüsse der Bandagen. Zumindest solange er als Besucher hier war, sollte sie nicht wie eine Gefangene dort liegen. Leise nahm er auf dem Stuhl neben ihrem Bett Platz und musterte ihr Gesicht. Sie schlief etwas unruhig, und auf den Wangen konnte er noch Spuren von Tränen erkennen. Tief in seinem Inneren fühlte er einen unerklärlichen Schmerz. Oliver betrachtete die leise piepsenden Geräte und schluckte. Er hasste diesen Ort dafür, dass er Erinnerungen in ihm wachrief, die er so weit wie möglich verdrängt hatte. Sarah träumte offenbar unruhig, denn plötzlich schrak sie zusammen und fuhr mit beiden Händen durch die Luft. Die Bewegung mit dem frisch operierten Arm musste ihr wehgetan haben, denn sie wimmerte erst leise und schlug dann die Augen auf. Sie schien einige Sekunden zu benötigen, bis sie wusste, wo sie war. Wie um sich zu vergewissern, dass sie nicht mehr angebunden war, hob sie die Hand mit dem Infusionszugang und betrachtete sie kurz. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte sie anschließend den anderen Arm ebenfalls anzuheben und erstarrte, als sie Olivers leise Stimme vernahm.
»Den verbundenen Arm sollten Sie so wenig wie möglich bewegen, Sarah.«
Sie drehte den Kopf in seine Richtung und sah ihn an. Einen Moment lang wurde er sich der Merkwürdigkeit seiner Situation bewusst, dann überwand er sich. Verdammt, was sollte diese Zauderei? Er wollte schließlich helfen. Er lächelte vorsichtig. »Ich frage lieber nicht, wie Sie sich fühlen.« Er machte eine kleine Pause, in der sie den Blick abgewandt hatte. »Sarah, ich möchte Ihnen helfen. Es ... es tut mir so Leid, was passiert ist. Kann ich jemanden für Sie benachrichtigen?«
Zunächst hatte er den Eindruck, es käme keine Reaktion von ihr, doch schließlich bemerkte er, wie sie kurz den Kopf schüttelte und sich dann wegdrehte. Aber Oliver wollte noch nicht gehen. Gestern schon hatte er den Fehler begangen, zu früh aufzugeben. »Ich weiß, was Sie durchmachen.« Er beugte sich zögernd vor und konnte erkennen, dass sie auf das Nachtschränkchen starrte. Langsam ging er mit seinem Stuhl um das Bett herum, setzte sich wieder und sah sie offen an. Er sprach sehr leise. »Ich war selbst einmal ganz kurz davor ... Mein Leben hatte keinen Sinn mehr, als die Frau, diemir so viel bedeutet hat wie keine andere, daraus verschwand.« Oliver musterte ihr blasses Gesicht. Sie sah aus, als wäre sie aus Porzellan. Unwillkürlich schlug er einen vertrauteren Ton an. »Ist dir etwas Ähnliches passiert?«
Sie biss sich auf die Unterlippe, wich seinem Blick aus und nickte leicht. Sie konnte sich nicht überwinden zu sprechen, schien aber ein wenig Vertrauen zu fassen. Irgendwie hatte sie nichts mehr zu verlieren.
Oliver wartete einen Moment, dann beugte er sich auf seinem Stuhl etwas vor.
»Auch wenn du es jetzt nicht glauben kannst, aber das Leben geht weiter. Und es ist viel zu kurz, als dass wir es einfach wegwerfen sollten.« Als er ihren verächtlichen Gesichtsausdruck bemerkte, lehnte er sich wieder zurück. »Was hast du von diesem Kontinent zum Beispiel schon gesehen?« Sie sagte nichts, und so fuhr er fort: »Du bist also nur hierher gereist, um deinem Leben ein Ende zu setzen? Wen willst du damit bestrafen? Deine Eltern? Deine Familie? Dich
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