Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)
Augen und lehnte lautlos den Kopf gegen die Tür. Sie fühlte förmlich seine Nähe auf der anderen Seite. Olivers Hand fuhr mit einem wischenden Geräusch über das glatte Holz. »Ich weiß genau, dass du dort hinter der Tür stehst, Sarah. Aber mehr als dich zu bitten, mit mir zu reden, kann ich nicht. Mach’s gut.«
Seine Schritte entfernten sich, und Sarah hörte, wie er in seinem Zimmer verschwand, um dort sicherlich zu packen. Sie schluckte, und wieder rollten Tränen über ihr Gesicht, als sie sich auf ihr Bett warf und den Kopf in ihrer Armbeuge vergrub. Sie weinte lautlos und schlief die ganze Nacht nicht.
Gegen fünf Uhr in der Frühe ging sie leise ins Bad, umzu duschen. Dann zog sie sich an und schlich mit angehaltenem Atem nach draußen in den Stall. Sie würde einfach ausreiten und erst wiederkommen, wenn Oliver und Sammy fort wären. Sie wollte ihnen nicht mehr begegnen, sie nicht sehen lassen, wie weh ihr dieser Abschied tat.
Entschlossen reckte sie das Kinn vor und ging die Stallgasse entlang. Die frische Luft würde ihr gut tun. Unschlüssig blieb sie einen Augenblick stehen, um zu überlegen, welches Pferd sie nehmen sollte. Als wollte er ihr bei der Entscheidung auf die Sprünge helfen, streckte ein schneeweißer Hengst seinen Kopf aus der Box und schnaubte leise. Sie ging zu ihm, strich ihm sanft über die Nüstern und kraulte ihn unter der Stirnlocke. »Na, Ghost? Du bist ja auch schon munter. Hast du Lust auf einen Ausritt?« Nachdem sie ihn gestriegelt und gesattelt hatte, saß sie auf und ritt im leichten Trab den Pfad zum Fluss hinunter. Der Morgennebel verschwand gerade aus den saftigen Weiden, und die ersten Sonnenstrahlen kämpften sich durch eine lockere Bewölkung. Sarah lauschte dem melodiösen Gesang einiger Elstern, dann trieb sie den großen Hengst an, der daraufhin in einen raumgreifenden Galopp fiel.
Das Pferd schien Freude an der Bewegung zu haben, denn es lief beinahe von selbst. Sie verstand plötzlich, warum ihre Großmutter das prachtvolle Tier so liebte. Es war nicht nur einfach schön, sondern darüber hinaus auf natürliche Art und Weise edel und anmutig in seinen Bewegungen. Sarah preschte am Ufer entlang. Ein paar Wildenten erschraken, flatterten auf und landeten empört schnatternd auf dem Fluss. Etwa nach einem Kilometer zügelte Sarah den Hengst und ließ ihn eine Weile traben und schließlich Schritt gehen. Lobend klopfte sie seinen Hals, während ihre Augen von einem mächtigen Fluss-Eukalyptus in die Weite der Hügelkette wanderten. Ganze Felder schimmerten blauviolett, weil dort Pattersons Curse blühte. Sarah liebte diese Pflanze, die die Landschaft in der Ferne so unwirklich blau färbte, obwohl sie wusste, dass es sich dabei eigentlich um ein Unkraut handelte. An einigen Stellen wechselte die blaue Farbe auch schon in Gelb über, denn die gelben Blumen des Cape Weed, die sie schon oft an deutsche Butterblumen erinnert hatten, lösten die blauen Pflanzen bei der Blüte ab. Manchmal kam es ihr direkt unwirklich vor, wie sehr sie sich hier bei ihren Großeltern inzwischen zu Hause fühlte und wie viel sie schon von ihnen gelernt hatte. Nie hätte sie sich vorstellen können, so einfach aus Deutschland fortzugehen und ganz neu anzufangen. Sie seufzte unwillkürlich, denn mit diesen Gedanken war sie wieder bei ihrem ursprünglichen Problem angelangt.
Oliver lehnte sich aus dem Fenster, um Sarah und dem weißen Pferd möglichst weit mit den Augen folgen zu können. Dann verschwanden die beiden unter dem dichten grünen Blätterdach der mächtigen Bäume, die den Weg zum Fluss säumten. Er starrte ein wenig ratlos in den erwachenden Morgen. Das also würde seine letzte Erinnerung an Sarah sein, bevor er mit Sammy nach Hause zurückkehrte. Müde fuhr er sich durch die ungekämmten Locken. Er hatte kaum geschlafen und war sofort hellwach gewesen, als er Sarah im Bad gehört hatte.
Er war versucht gewesen, aufzustehen und nochmals die Begegnung mit ihr zu suchen, doch er hatte sich schließlich dagegen entschieden. Mit ihren hartnäckigen Weigerungen, als er mit ihr reden wollte, hatte sie ihn verletzt. Er mochte sich nicht noch eine Abfuhr holen.
25
J ulia Berndes wanderte nervös im Wohnzimmer auf und ab. Sie war froh, dass Hans nicht zu Hause war. Das eben beendete Telefongespräch mit Sarah hatte sie beunruhigt. Die scheinbar unbekümmerte Heiterkeit ihrer Tochter war ihr aufgesetzt vorgekommen. Und der Frage nach Oliver war sie geschickt ausgewichen und
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