Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)
hatte das Thema gewechselt. Julia machte sich Sorgen, dass Sarah womöglich noch einmal enttäuscht worden war. Sie hatte keine Ahnung, ob sie sich auf der Farm wirklich wohl fühlte, deren Tagesablauf doch so gar nichts mit dem städtischen Lehreralltag ihrer Tochter gemeinsam hatte. Was war dort los? Wolf konnte nicht mehr das Problem sein. Er war schon lange wieder hier in Deutschland. Sie fühlte sich »ihrem Mädchen« so tief verbunden, dass sie glaubte spüren zu können, dass sie unter irgendetwas litt. Wieder einmal hasste Julia die Entfernung, die zwischen Australien und ihrer neuen Heimat lag. In den ersten Jahren hatte sie manchmal geglaubt, an ihrem Heimweh und der Enge Deutschlands ersticken zu müssen. Doch die Liebe zu ihrem Mann und ihren Kindern hatte stets verhindert, dass sie nach Hause geflohen war. Ja, sie hatte ihren Kummer immer zu verbergen gewusst. Julia blieb vor dem Fenster stehen. Ihr Blick fiel auf die gerahmten Familienfotos, die zwischen den Grünpflanzen auf der Fensterbank verteilt waren. Unwillkürlich griff sie nach dem silbernen Bilderrahmen, der Sarah mit der kleinen Rebecca zeigte. Es war im letzten Sommer im Garten aufgenommen worden. Sarah hatte die Arme um das Mädchen geschlungen, das auf der Schaukel saß, und beide strahlten übermütig. Julia holte tief Luft. Sie würde herausfinden, was Sarah belastete.
26
S amantha saß an ihrem Schreibtisch und schob missmutig die eben benutzten Buntstifte ins Etui zurück. Dann stützte sie die Ellbogen auf und stemmte die Hände unter das Kinn. Was zum Kuckuck war nur mit Dad los? Ganz gleich, was sie auch versuchte oder wie sehr sie sich bemühte, es gelang ihr nicht, die frühere Unbekümmertheit zwischen ihnen wieder herbeizulocken. Wenn sie es recht bedachte, war er richtig ernst und still geworden. Sammy grübelte. War er immer noch sauer darüber, dass sie weggelaufen war? Sie schüttelte den Kopf. Nein, dafür war er zu erleichtert und glücklich gewesen, als sie wieder aufgetaucht war. Er hatte sogar geweint. Sie war ehrlich erschrocken gewesen, als sie es bemerkt hatte. Sammy konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr Vater je geweint hatte. Sie legte die Stirn in Falten. Sicherlich hatte er das getan, als ihre Mum gestorben war, aber daran konnte sie sich kaum noch erinnern. Ohne dass sie es wollte, stand ihr das Wochenende auf der Farm wieder vor Augen. Obwohl sie die überstürzte Abreise zunächst wie einen kleinen Triumph über Sarah empfunden hatte, musste sie sich eingestehen, dass es ihr dort sehr gefallen hatte. Genau genommen hatte sie schon lange keine Freude mehr an diesem Sieg.
Es waren bestimmt sieben Wochen vergangen, aber so sehr sie sich gewünscht hatte, dass ihr Leben einfach so werden würde wie zuvor, so wenig war es eingetreten. Grandma und Grandpa bemühten sich zwar eifrig, so zutun, als wäre nichts geschehen, aber Sammy ließ sich nicht täuschen. Die beiden waren irgendwie betreten. Dad schien das nicht zu bemerken. Nach der Arbeit ging er kaum noch aus und war oft mit seinen Gedanken weit weg. Wenn er mit einem Buch oder der Zeitung auf der Veranda oder im Garten saß, konnte sie häufig sehen, dass er überhaupt nicht las, sondern nur auf die Zeilen starrte. Er wurde nicht einmal mehr wütend, wenn sie Mist gebaut hatte oder zum fünften Mal am selben Abend wieder aus dem Bett kam. Genauso wenig freute er sich über gute Leistungen oder Erfolge, die sie erzielte. Für die Party zu ihrem achten Geburtstag hatte er keine Kosten und Mühen gescheut. Und doch hatte vieles künstlich gewirkt. Sammy hatte die warme Herzlichkeit vergangener Kindergeburtstage vermisst, an denen er seine Späßchen getrieben und sich mit den Kindern über den Rasen gekugelt hatte. Wenn sie es recht bedachte, »funktionierte« er nur noch. Sammy fegte wütend ihr Etui vom Schreibtisch und stand auf, um aus dem Fenster zu sehen. Nelson war fiepend aufgesprungen, als das Etui neben ihm gelandet war, und kam unsicher wedelnd auf sie zu. Sammy nahm ihn auf den Arm und drückte ihr Gesicht in sein weiches Fell. »Ach Nelson, wenn man so wird, wenn man verliebt ist, dann will ich mich nie, nie, nie verlieben.«
Oliver hatte sich resigniert in seine Arbeit gestürzt. Sie war mehr oder weniger das Einzige, was ihn von seinen Gedanken an Sarah befreite. Wenn er nicht beschäftigt war, dachte er fast immer an sie. Nach der Enttäuschung, die er ihr mit seiner überstürzten Abreise zugefügt haben musste, hatte er es nicht
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