Der Duft des Meeres
gewöhnlich hätte sie es nicht ertragen können, ihn so aufgewühlt zu sehen. Aber in diesem Moment war es ihr egal.
»Warum ist meine Mutter in Port Adelaide?«, fragte sie, während sich unzählige weitere Fragen in ihrem Kopf bildeten.
Regen peitschte gegen die Fenster und das Tosen des Windes verstärkte sich. Die Laterne schwankte heftig und die Dinge auf dem Schreibtisch verrutschten und folgten dem Neigungswinkel der Platte. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass ihr Vater sich an die Schreibtischkante lehnte. In dem rauchigen Laternenlicht waren seine Wangen teigig geworden und seine Haut unter dem Kinn wirkte schlaff.
Er weigerte sich, sie anzusehen. »Das ist kompliziert.«
Er strich sich mit der Hand durchs Haar und griff fest hinein, dann blinzelte er, als hätte er Schmerzen. »Und wie du sehen kannst, ist dies nicht die beste Zeit, um es dir zu erklären. Wir segeln durch einen Sturm.«
Er versuchte, zur Tür zu gehen, aber Camille eilte von den Fenstern weg und verstellte ihm den Weg.
»Der Sturm kann warten. Du hast die letzten siebzehn Jahre damit verbracht, mich zu belügen, und ich will wissen, warum. Du hast mir erzählt, meine Mutter sei tot! Aber sie lebt, und sie will mich sehen, und du hattest nie die Absicht, es mir zu erzählen, nicht wahr?«
Ein Knurren entrang sich William Rowens Brust. Er stieß ein kehliges Brüllen aus und fuhr mit dem Arm über seinen Schreibtisch, sodass Papiere und Bücher durcheinanderflogen und ein Tintenfass umkippte. Eine dickflüssige schwarze Pfütze breitete sich auf dem Holz aus und durchdrang die Fasern eines Stapels Papiere.
»Sie hat uns verlassen! Das ist die Wahrheit, um die du gebettelt hast. Deine Mutter hat uns verlassen.« Er warf sich auf einen Stuhl und nach einer kurzen Pause schaute er ihr forschend ins Gesicht. Aber sie glaubte ihm nicht. Camille beäugte die Bögen, die er immer noch umklammert hielt.
»Lass mich den Brief zu Ende lesen«, flüsterte sie. »Ich will alles wissen, und ich vertraue nicht länger darauf, dass du mir die Wahrheit sagst.«
Sein Vater verkrampfte die Hand um das Pergament. Er stand von dem Stuhl auf und holte den Schlüssel zu seinem Safe aus der Tasche.
»Es steht etwas in dem Brief, von dem du nicht willst, dass ich es lese«, sagte sie und folgte ihm zu dem Safe, der in die Wand neben seiner Koje eingebaut war.
Er schob die Bögen hinein und schloss die Tür. Die anderen Schlüssel klimperten um den Ring, als er den Safe verschloss. Das Schiff schlingerte im Sturm und Camille wurde von einer Seite auf die andere geworfen. Sie hielt sich am Schreibpult und einem Stuhl fest, ihre Beine zitterten wie sonst nie.
»Es steckt mehr dahinter, als ich dir gerade jetzt erzählen kann. Sie ist fortgegangen, als du kaum ein Jahr alt warst. Ich habe nie gewusst …« Er hielt inne und presste die Hand gegen die Metalltür des Safes, als drücke eine andere Hand von der gegenüberliegenden Seite dagegen. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich habe nie gewusst, wohin sie gegangen ist. Sie hat nie geschrieben. Sich nie mit mir in Verbindung gesetzt. Bis jetzt.«
Bis sie auf der anderen Seite der Welt halb im Sterben lag , fügte Camille im Stillen hinzu. Sie strich sich mit den Fingern durch ihre wirren schwarzen Locken.
»Hast du denn versucht, nach ihr zu suchen?«, fragte sie. Ihr Vater ließ die Hand von der Tür des Safes gleiten und fuhr zu seiner Tochter herum.
»Natürlich habe ich das getan. Sie war meine Frau, die Mutter meines Kindes. Denkst du nicht, ich wollte wissen, warum sie uns verlassen hatte? Ob es irgendetwas gab, was ich tun konnte, um sie zurückzuholen?«
Eine Bö traf die Christina und Camille verlor den Halt. Ihr Vater sprang vor, um sie festzuhalten, aber sie entwand sich seinem Griff.
»Warum hast du mir nicht einfach von Anfang an die Wahrheit gesagt?«
Er seufzte und rieb sich mit dem Handballen die Schläfe.
»Es gab andere Dinge«, antwortete er. »Andere Dinge, die geschehen sind.«
Die Christina legte sich auf dem Kamm einer weiteren Welle auf die Seite. Das umgekippte Tintenfass rollte vom Schreibtisch und spritzte Tinte auf das Hosenbein ihres Vaters.
»Dinge, von denen du mir immer noch nicht erzählen willst?«, fragte Camille. Er wischte mit einem Taschentuch über die Tinte, aber das machte den Fleck nur noch größer. Er warf das geschwärzte Tuch zu Boden.
»Ja, Dinge, vor denen ich dich beschützen musste! Und ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich es getan
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