Der Duft des Meeres
Schiff wurde auf eine weitere strudelnde Welle gehoben und krachte herunter und Camille fiel erneut zu Boden. Mit jedem Hämmern ihrer Schläfe veränderte sich ihre Sicht. Die Tür wurde undeutlich, dann hell, klein, dann groß.
»Camille!« Ihr Vater kam hereingeschwankt und sein Körper wiegte sich mit dem Schiff. Er fasste ihr unters Kinn und inspizierte die Wunde. »Kannst du richtig sehen?«
Camille nickte und stand auf. »Mir geht es gut«, antwortete sie, obwohl die Umrisse ihres Vaters verschwommen waren. »Hat der Blitz den Mast getroffen?«
Er umfasste ihre Schultern und von seinem Ölzeug tropften kleine Bäche Seewasser. Sie drehte den Kopf zur Treppe, über die Wasser vom Deck strömte und in die Kombüse spritzte.
»Bleib unten«, sagte er in Reaktion auf die Neugier in ihren Augen. »Keine Ausnahmen, Camille. Ich weiß nicht, woher dieser Sturm gekommen ist, aber es ist jetzt zu gefährlich, auf Deck zu sein.«
Sie fürchtete sich davor, allein in ihre Kajüte zurückzukehren. Sie wollte auf Deck sein, bei den anderen, nicht hier unten, eine Unglücksbringerin, die vor dem Meer versteckt wurde. Randalls Stimme hallte in ihrem Kopf wider, als ihr Vater sie dicht über ihrer blutenden Schläfe küsste. Bringen Frauen nicht Unglück auf einem Schiff?
Ihr Vater drehte sich um und kämpfte sich auf die Kajütstreppe zu.
»Sei vorsichtig!«, rief sie, aber bevor sie in ihre Kajüte zurückkehren konnte, platzten Camilles Trommelfelle beinahe bei einem zweiten Blitzschlag. Ihre Zähne schmerzten und ihre Ohren klingelten. Das war der Moment, als sie das Geräusch von splitternder Kiefer hörte und das Stöhnen von Holz, das sich bog und verzerrte. Die Welt über ihr explodierte, als die Oberbramstange herunterkam und sich wie ein Speer ins Deck bohrte. Wasser wogte herein und riss zwei Matrosen in der Nähe der Bruchstelle weg.
»Camille!« Sie spürte die Hand ihres Vaters, bevor sie sah, dass er sie packte. Sie wusste, dass sie rannte, aber es fühlte sich an, als sei sie in einer Flut aus Sirup gefangen. Wasser strömte um ihre Knöchel und Trümmer krachten gegen ihre Schienbeine. Wind wehte ihr ins Gesicht, als ihr Vater sie an Deck hievte, wo der Sturm tobte und sie peitschte. Ihre Füße glitten aus, und sie landete auf der Seite und kam ins Rutschen, als das Schiff sich weiter neigte. Aber ihr Vater, der noch immer ihr Handgelenk umfasst hielt, hievte sie wieder hoch. Er zog sie nah heran und sie klammerte sich an seinen Hals und seine Schultern. Er stützte sich mit dem Arm am Dach der Kajütstreppe ab und sie schauten voller Entsetzen hinaus.
»Belegt die Leinen!«, rief ihr Vater Micky und Lucius zu, die die Arme um den Stumpf des Hauptmastes geschlungen hatten, als das Schiff sich fast bis in die Waagerechte neigte. Lose Enden knallten im Wind, so tödlich wie die Klingen von Schwertern. Als Micky nach dem unberechenbaren Tau griff, ließ eine Windböe es auf ihn zuschnellen. Es schlug mit solcher Wucht auf seinen Arm, dass er den Rücken durchbog und in das dunkle Wasser auf dem Schiff fiel. Wasser strömte in die Bruchstelle, füllte die Christina und setzte ihren Auftrieb außer Kraft. Camille suchte das Achterdeck ab und fand das Ruder, wo Oscar das Rad hätte halten sollen. Die Speichen drehten sich unbemannt und das Medaillon in der Mitte glitzerte in den Blitzen. Ihr panischer Blick glitt über das Deck, nach vorne und nach hinten, aber sie sah nichts als Zerstörung.
»Oscar!«, brüllte sie zu ihrem Vater hinüber. »Wo ist er?«
Ihr Vater drückte sie fester an sich.
»Meine liebe Camille«, flüsterte er ihr ins Ohr, und trotz des Brüllens des Sturms hörte sie ihn deutlich. »Meine liebe Camille.«
Sie hielt inne und lauschte. Die Stimme ihres Vaters war ruhig und klar. Sie verschloss die Augen vor dem aufsteigenden Wasser, dem Wind, dem Regen und den Blitzen.
»Versuche, über den Wellen zu bleiben. Halt dich an mir fest, wenn wir untergehen. Ich habe dich«, sagte er.
Sie grub ihm die Finger in den Rücken. Heiße Tränen wärmten ihre Wangen gegen den kalten Regen und die beißende Meeresgischt. Camille öffnete die Augen, weil sie das Gesicht ihres Vaters sehen musste. Aber die berghohen Wellen, die die Christina umwogten, verlangten ihre Aufmerksamkeit. Die jadefarbenen Brecher leuchteten flimmernd auf, als koche das Wasser durch die Elektrizität des Unwetters. Eine Welle, die höher war als alle anderen, leuchtete durchscheinend in einem kräftigen Gelbgrün.
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