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Der Duft des Meeres

Der Duft des Meeres

Titel: Der Duft des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angie Frazier
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ihres Vaters herrschte, würde es nicht erlauben, dass auch nur ein Stift oder ein Stück Papier an einem anderen als seinem ursprünglichen Ort blieb.
    Töpfe und Pfannen in der Kombüse klapperten gegeneinander und Glaskrüge in der Speisekammer klirrten in ihren Halterungen, als die ersten heftigen Sturmböen das Schiff erreichten. Der gläserne Knauf an der Kabinentür ihres Vaters klickte und der süße Duft von kaltem Pfeifenrauch stieg ihr in die Nase. Vier gewaltige Fenster säumten den hinteren Teil der Kajüte und ließen das dunstige senffarbene Licht ein. Die Gewitterwolken würden das Licht bald verschlucken, das wusste sie, daher schloss sie die Tür und eilte zum Schreibtisch hinüber.
    Als sie die mittlere Schublade aufriss und begann, seine Papiere zu durchsuchen, hätte sie sich am liebsten auf die eigene Hand geschlagen. Es war verrückt. Ihren Vater zu hintergehen, sich in seine Kajüte zu schleichen … Das war purer Verrat und es verursachte ein flaues Gefühl in ihrem Magen.
    Camille bekam einige Briefe in die Finger, aber sie legte sie schnell weg, nachdem sie sie überflogen hatte. Sie schloss die mittlere Schublade und ging zu einem der Seitenfächer weiter, in der Hoffnung, dort mehr Glück zu haben. Die Pendeluhr auf einem Bücherregal in der Ecke der Kabine tickte leise und machte sie auf ihre schwindende Zeit aufmerksam. Mit zitternden Händen hob sie eine Schachtel mit feinem gebleichtem Leinenpapier an, das ihr Vater sich regelmäßig aus New York City schicken ließ, um es als Schreibpapier zu benutzen, und legte sie auf den Schreibtisch. Darunter sah sie einen Umschlag, dessen rotes Wachssiegel aufgebrochen war.
    Camille riss den Umschlag aus der Schublade und zog vorsichtig zwei Bögen Papier heraus. Sie hielt das Papier dicht an ihre Augen. Das Licht war beinahe zu schlecht, um die kleine, säuberliche Handschrift zu entziffern.
    15. Oktober 1854
    Liebster William,
    zu viele Jahre sind gekommen und gegangen, als dass ich diesen Brief mit einer förmlichen Begrüßung beginnen könnte. Ich schulde Dir mehr als Höflichkeit. Ich schulde Dir mehr, als ich Dir jemals vergelten kann. Deshalb will ich ohne Umschweife schreiben.
    Ich bin krank. Zu krank, um über den gewaltigen Ozean zu reisen, der zwischen uns liegt, sonst wäre ich inzwischen zu Dir gekommen. Schwindsucht fesselt mich an mein Bett und ich nähere mich meinen letzten Tagen. Port Adelaide in Australien war während der letzten sechzehn Jahre mein Zuhause. Obwohl ich wegen meines Verrats an unserem heiligen Gelübde es nicht würdig bin, wage ich, eine letzte Bitte an Dich zu richten.
    Ich will Camille sehen. Ich will mein Baby ein letztes Mal sehen und es um Vergebung anflehen. Camille ist inzwischen erwachsen, und ich bete, dass sie zu einer besseren Frau erzogen wurde, als ich es bin.
    Camilles Augen brannten vor Tränen. Sie konnte nichts anderes tun, als das Papier anzustarren, das an den Rändern von ihren Händen feucht geworden war. Mein Baby? Nein. Es war unmöglich. Die Geschichte, die man Camille erzählt hatte, blitzte in ihren Gedanken auf – die dunkle Winternacht, die Stunden anstrengender Wehen und das Blut. Ihre Mutter hatte zu viel Blut verloren.
    »Sie kann nicht am Leben sein«, flüsterte Camille in die düstere Kajüte hinein. Gischt flog gegen die Fenster. Draußen wogte das Meer und in der Kajüte ihres Vaters folgte Camilles Magen seinem Beispiel. Ihre Kehle schnürte sich zu, und sie dachte, dass sie sich vielleicht würde übergeben müssen.
    Camille, der sich immer noch der Kopf drehte, las weiter.
    Sie ist immer noch ein Teil meiner Seele, ganz gleich, was ich getan habe, um den Mann zu verlieren, den ich liebte, das Leben, das ich wollte, und das kleine Mädchen, von dem ich so viele Jahre geträumt habe.
    Lehne meine Bitte ab, wenn Du willst. Zerreiße meinen Brief, wenn es Dir Trost bringt. Ob Du kommst, um mein Hinübergehen in die nächste Welt leichter zu machen, oder nicht, verstehe, dass ich nach San Francisco und zu Dir zurückschicken muss, was ich in Schande mit mir nach Australien genommen habe. Und so komme ich zu dem schwierigsten und gefährlichsten Teil meines Briefes. Du erinnerst Dich an die Karte von Umandu, davon bin ich überzeugt. Nachdem Du mit ihr aus Sydney zurückgekehrt bist, habe ich gesagt …
    Der Knauf der Kajütentür klapperte. Camille riss den Blick von dem Brief los, biss jedoch die Zähne aufeinander und blieb, wo sie war. Sie verdiente eine Erklärung und

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