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Der Duft des Meeres

Der Duft des Meeres

Titel: Der Duft des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angie Frazier
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Oberarmen abgeschnitten waren und mit Bindfaden zusammengezurrt, schnitten in ihre massigen Arme. Rötliche Läsionen bedeckten ihre bleiche Haut. Camille rümpfte die Nase. Skorbut.
    »Nur wir drei?«, fragte sie, und ihre Stimme kratzte in ihrer trockenen Kehle. In ihrer Benommenheit versuchte sie die Personen zusammenzuzählen, die sie in dem Beiboot gesehen hatte. Mit ihrem Vater wären es vier gewesen. Tränen brannten in ihren Augen und Qual übermannte sie. Ihre Brust wurde eng. Daphne berührte sanft ihre Hand.
    »Ihr Ire hat uns von dem Unglück erzählt. Von Ihrem Vater. Armes Ding, Sie haben mehr durchgemacht, als ein Mädchen durchmachen sollte.«
    Daphne hielt erneut den Becher an Camilles Lippen. Ihre Arme zitterten, als sie versuchte, den Becher zu nehmen und allein zu trinken. Es war ihr unangenehm, dass eine Fremde solchen Wirbel um sie machte. Sie drehte den Kopf und sah eine zweite Hängematte. Schmuddelige weiße Laken waren in einen Holzschrank in der Ecke gestopft worden und der Rest der kleinen Kajüte war karg und leer. Sie vermutete, dass sie im Krankenzimmer war.
    »Geht es Oscar gut?«, fragte Camille. Sie wollte ihn sofort sehen. Sie befanden sich auf einer belebten Schifffahrtsroute. Vielleicht war ihr Vater ebenfalls gerettet worden. Vielleicht war er nicht tot. Oscar würde es wissen. Er würde sie beruhigen können.
    Daphne biss sich auf die Unterlippe.
    »Oscar, der Ire? Bei Gott, der ist gut beieinander. Er ist auf Deck. Wollte nicht verhätschelt werden. Hat sich gleich mit der Mannschaft an die Arbeit gemacht«, sagte sie, dann zwinkerte sie Camille zu und schaute über ihre Schulter, als stünde vielleicht jemand hinter ihnen. »Also, dieser andere. Der wilde Bock, der ist ganz unten auf dem Deck mit meinen Mädchen, seit der Käptn euch aus dem Wasser gefischt hat.«
    Daphne kicherte und entblößte gerötetes Zahnfleisch. Sie musste Lucius gemeint haben, aber den Rest des Satzes verstand Camille nicht. Sie zog die Decke über ihre Brust und schwang die Beine über die Hängematte.
    »So was Stures! Weshalb die Eile? Die Londoner wird erst in einer Woche ihr Ziel erreichen.«
    Camille verlor das Gleichgewicht, als ihre Füße auf dem Boden landeten. Daphne fing sie auf und gab ihr mit einem kräftigen Schubs ihrer Hüfte Halt.
    »Welches Ziel?«, fragte Camille. Die Muskeln ihrer Arme schmerzten allein vom Gewicht der Decke, die sie festhielt, um sich zu verhüllen. Daphne holte ein Paar Stiefel von einem Stuhl und reichte sie Camille.
    »Melbourne. Wir sind seit fast zwölf Monaten dorthin unterwegs«, antwortete sie. »Haben schon lange kein Land mehr gesehen.«
    Das erklärte die Blässe ihrer Haut, den Verfall von Kiefer und Zähnen und die scharlachroten Flecken des Skorbuts. Camilles ganzer Körper zitterte und ihre Fingernägel waren blau vor Kälte. Sie wollte Oscar sehen. Sie wollte wissen, was er mitbekommen hatte, ob er beobachtet hatte, dass ihr Vater in ein anderes Beiboot gestiegen war. Sie musste wissen, ob es einen Hoffnungsschimmer gab, an den sie sich klammern konnte, selbst wenn er noch so dürftig war.
    »Männer aus der ganzen Welt suchen ihr Glück in Victoria, mit all dem Gold, das sie ausgegraben haben«, fuhr Daphne fort. »Wir dachten, warum suchen wir nicht selbst unser Glück? Also haben ungefähr zehn von uns Frauen das Geld aufgetrieben, und nun sind wir hier.«
    Glück und Geld. Camille wusste jetzt, dass der Besitz von Letzterem nicht den Weg zu Ersterem bahnte. In den Händen des Schicksals , konnte sie beinahe die Stimme ihres Vaters in ihr Ohr flüstern hören. Es war eine Redensart von ihm, die er oft murmelte, wenn etwas nicht nach seinen wohldurchdachten Plänen verlaufen war. Ihr Vater hatte seine Enttäuschung stets mit der Auffassung lindern können, dass am Ende alles dem Schicksal überlassen war.
    Daphne streckte die Hand nach dem Türknauf aus.
    »Und was ist Ihr Glück?«, fragte Camille, während sie den Rest des metallisch schmeckenden Wassers aus dem Zinnbecher trank. Daphne, die Camille auf dreißig Jahre schätzte, verschränkte die Arme unter ihrem schweren Busen. Zum ersten Mal bemerkte Camille, dass Daphnes Dekolleté über den Rand ihres weit ausgeschnittenen Korsetts quoll.
    »Kommen Sie nach unten aufs Orlopdeck, wenn Sie angezogen sind. Die Mädchen wollen Sie kennenlernen«, antwortete sie stattdessen und schloss die Tür hinter sich. Eine seltsame Frau, befand Camille und streifte die Decke ab.
    Als Camille damit fertig

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