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Der Duft des Meeres

Der Duft des Meeres

Titel: Der Duft des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angie Frazier
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fühlte überhaupt nicht viel, außer Angst und Schwäche. Aber das durfte sie sich nicht anmerken lassen. Sie war nie schwach gewesen – zumindest nicht nach außen hin. Camille war immer die Tochter des Kapitäns gewesen. Rowans Mädchen. Die junge Dame, die nicht wirklich eine Dame war. Und obwohl es für das einzige Kind eines verwitweten Seekapitäns (zumindest hatte sie ihn immer für einen Witwer gehalten) keine Liste von Regeln gegeben hatte, hatte Camille eine für sich selbst geschaffen. Auf der Liste hatte nichts davon gestanden, Schwäche zu zeigen, Hilfe zu brauchen oder das Fräulein in Not zu spielen.
    Camille straffte die Schultern und wischte sich, so anmutig sie konnte, über Augen und Nase. »Wir sind auf einer Fregatte«, sagte sie und mied Oscars Blick. Seine Augen würden zu viel Kummer zeigen und sie wollte nicht wieder zusammenbrechen. »Was tun Frauen an Bord eines Kriegsschiffs?«
    »Die Londoner gehört nicht zur Königlichen Marine.« Seine Antwort erklärte das Fehlen der Kanonen auf dem ersten Unterdeck, dem Spardeck. »Ihr Kapitän befördert Fracht. Du hast Daphne kennengelernt?«
    Camille blinzelte in die Takelage hinauf. »Sie scheint nett zu sein. Ein wenig seltsam, aber sie hat mich nach unten aufs Orlopdeck eingeladen.«
    Über ihr ölten zwei Männer das Topsegel. Camille rutschte in ihren Stiefeln auf einigen Tropfen Öl aus. Oscar stützte sie.
    »Aufs Orlopdeck? Camille.« Er beugte sich dicht zu ihr vor und senkte die Stimme. »Sie sind Prostituierte.«
    Sie keuchte auf und sah ihn endlich voll an. »Prostituierte? Bist du ganz sicher?«
    Oscar nickte, als einige vorbeikommende Seeleute Camille musterten und dann anzüglich lachten. Sie versuchte, die Röte zu unterdrücken, die ihr den Hals hinaufkroch. Eine Welle der Übelkeit trübte ihr die Sicht. Ihr Herz hämmerte und ihr brach kalter Schweiß auf Brust und Rücken aus.
    »Du bist immer noch schwach. Geh wieder nach unten und ruhe dich in der Hängematte aus.« Oscar drängte sie sanft zur Leiter. Dann fügte er bedächtig hinzu: »Du solltest wissen, dass es dem Kapitän und der Mannschaft lieber ist, wenn die Frauen unten bleiben.«
    Camille schnaubte. »Ich bin nicht schwach, Oscar. Es geht mir schon viel besser.«
    Oscar deutete mit dem Kopf auf die Treppe. »Geh. Ich werde dir bald etwas zu essen bringen.«
    Sie fühlte sich leer, nicht hungrig. Camille kletterte hinunter, weg von den abergläubischen Augen der Mannschaft. In dem stillen, sterilen Krankenraum umfing die Hängematte ihre empfindlichen Glieder. Selbst ihre Knochen schmerzten. Sie nippte noch etwas Wasser und spürte, wie es ihr Lippen und Kehle kühlte und in ihren leeren Bauch drang. Den Schlaf hieß sie willkommen, und sie wiegte sich sanft mit dem spielerischen Schlingern des Schiffs, das gleichzeitig Fregatte und Frachtschiff war.
    Vier Stunden später kam die erste Wache mit dem Klirren der Schiffsglocke auf das Spardeck gepoltert. Camille tauchte aus einem tiefen Schlaf auf, in dem sie von der Kreuzung von Kearny und California Street daheim in San Francisco geträumt hatte. Einige Blocks von ihrem Stadthaus auf der Portsmouth Plaza entfernt führte die California Street direkt zum Kai, wo das Schiff ihres Vaters immer angelegt hatte. Sie war diese Straße so viele Male entlanggegangen, hinunter zur Bucht in Erwartung einer großen Seereise, eines bemerkenswerten Abenteuers.
    In ihrem Traum stand Camille allein an der Ecke Kearny und California. Sie konnte alles so deutlich sehen, als sei es direkt vor ihr. Die roten Ziegelsteinhäuser, die gusseisernen Lampen, die gepflasterten Gehwege und die staubige Straße. Selbst die trocknende Wäsche an der Wäscheleine zwischen Dr. Jensons und Mrs. Washburns Häusern. Sie konnte die quadratische verglaste Kuppel des Stadthauses ihres Vaters sehen, wie sie sich über andere Dächer erhob. Alles sah unverändert aus, und doch fühlte es sich leer an, als hätte es seine Seele verloren. Camille wusste, dass sie nicht dorthin zurückkehren konnte, noch nicht. Die Kreuzung verlockte sie, auf die Straße hinauszutreten und zum Hafen hinunterzugehen.
    Sie öffnete die Augen, als sie hörte, wie die Kajütentür geschlossen wurde. Das Licht der Flaschenglasoberlichter war verblasst, aber sie beobachtete trotzdem, wie Oscar zu der Hängematte ging, die parallel zu ihrer hing.
    »Hast du etwas zu essen mitgebracht?«, fragte Camille, und ihr Magen verkrampfte sich vor Hunger. Oscar setzte sich in die

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