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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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geworden war? Die Vorstellung, dass er Modestas Schicksal geteilt haben konnte, versuchte sie zu verdrängen. Aber gegen einen so großen, kräftigen Mann wie Martin, an dessen Gürtel zudem ein Revolver hing, hätte er niemals eine Chance. Sie konnte nur hoffen, dass er Dr. Scarsdale benachrichtigen würde, auch wenn er sich dadurch in Gefahr brachte, noch mal verhaftet zu werden.
    Sie bemühte sich, nicht über diese Dinge nachzudenken, sondern ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Welt zwischen den uralten Wänden dieser Ruine zu richten. Irgendwie musste sie es schaffen, Martin zu beeinflussen, damit er sie ins Lager von Dr. Scarsdale brachte. Von dort aus würde sie vermutlich in Schimpf und Schande zu den Bohremanns zurückgeschickt werden, aber sämtliche Auseinandersetzungen mit dem Kaffeebaron und seiner Gemahlin waren dieser Situation hier vorzuziehen.
    »Aber nun zu dir!«
    Alice fuhr zusammen, als ihr bewusst wurde, dass er sich ihr wieder zugewandt hatte. Er hob die Öllampe hoch und hielt sie ihr wie eine scharfe Waffe entgegen.
    »Was findet eine wie du an einem dreckigen Indianer? Erkläre es mir. Malhaya! Bist du krank im Kopf, sodass du dich gern im Dreck suhlst?«
    Er bohrte seine Finger in Alice’ Schulter und begann sie zu schütteln, wobei sie immer wieder gegen die Steinwand prallte. Sie krümmte sich vor Schmerzen. Noch ein paar Stunden solcher Behandlung, und sie wäre nichts anderes mehr als ein um Erbarmen wimmerndes, gebrochenes Wesen.
    »Er hatte jedenfalls weitaus bessere Manieren als so manch anderer Mann, den ich hier in Palenque kennenlernte!«, zischte sie Martin ins Gesicht, um ein wenig von jener Person bewahren zu können, die sie stets hatte sein wollen.
    Es dauerte eine Weile, bis er ihre Anspielung begriff. Dann hob seine Hand sich zu einem weiteren Schlag. Alice wich nicht mehr zurück, denn falls er wirklich die Absicht hatte, sie umzubringen und im Dschungel vermodern zu lassen, konnte sie ihn nicht daran hindern. Ihre Augen schlossen sich schicksalsergeben, erst als sie ihn zornig aufschreien hörte, sah sie wieder hin. Ein Stein schlug vor ihr auf, und Martin hielt fluchend seinen Arm fest, der getroffen worden sein musste. Sie blickte sich ebenso ratlos um wie er. Der Dschungel stieß seine gewohnten zischenden, zirpenden und krächzenden Laute aus. Es musste hier Tiere geben, die des Nachts zum Leben erwachten. Nur warfen diese keine Steine.
    »Das war wohl so ein Geist, der hier in der Ruine lebt. Ein alter, wütender Indio!«, rief Martin und begann zu lachen. Der zweite Stein traf ihn in den Rücken. Er fluchte und fuhr herum.
    »No me chingues! Wer ist da?«, brüllte Martin. Der Dschungel schien für den Bruchteil einer Sekunde zu verstummen, dann setzten die gewohnten Geräusche wieder ein, als wollten sie einen zornigen Mann, der nicht hierhergehörte, verhöhnen. Martin war gerade im Begriff, an den Rand der Ruine zu treten, als ein dritter Stein seine Schläfe traf. Er taumelte, stöhnte und sank in die Knie, während er das Blut aus seinem Gesicht wischte.
    »Ich kriege dich, hijo de la chingada!«
    Martin zog den Revolver aus seinem Gürtel und feuerte zum unsichtbaren Himmel hoch. Kurz rauschte es in dem mächtigen Dach aus Geäst. Ein paar Vögel krächzten vorwurfsvoll, in ihrer Nachtruhe gestört zu werden.
    »Komm schon her! Cobarde, ven!«
    Ein zweiter Schuss unterbrach noch mal die nächtliche Musik des Dschungels. Alice ahnte, dass sie Martins Verhalten in einer anderen Lage als amüsant empfunden hätte, doch nun starrte auch sie mit einer Mischung aus Angst und Hoffnung in das fremde Reich, das zahllose Geheimnisse verbarg. Sie glaubte, Zweige knacken zu hören.
    »Hijo de la chingada, ich sehe dich, ich kann dich sehen!«, rief Martin triumphierend und richtete seinen Revolver zielsicher in die Dunkelheit. Alice reagierte, bevor sie Zeit zum Nachdenken gefunden hatte. Sie empfand keinen Schmerz und keine Demütigung mehr, nur noch den Wunsch, ihren unbekannten Helfer vor Martin zu schützen. Sie rannte los und schlug ihre Zähne in die Hand, die den Revolver hielt.
    Sie schmeckte Blut. Der Revolver fiel zu Boden, so wie vorher die Statue und auch die Steine. Martin fuhr herum und packte Alice an beiden Handgelenken. Sie zappelte, doch sie konnte sich nicht aus seinem Griff befreien.
    »Jetzt ist es vorbei, du Indio-Hure, jetzt bringe ich dich um!«, spuckte er ihr ins Gesicht. Alice schloss die Augen nicht mehr, sondern trat nach ihm, auch wenn es

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