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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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Aufseher ist die Arbeit nicht angenehm, wenigstens am Anfang nicht. Sie töten alles in sich ab, das menschlich ist, um nicht den Verstand zu verlieren. Jedenfalls hielt er es dort nicht aus, denn er lief weg und war froh, für Dr. Scarsdale arbeiten zu können. Sie haben ihn um diese Arbeit gebracht, nicht wahr?«
    Alice nickte. Sie war immer noch nicht in der Lage zu sprechen, doch seine Nähe beruhigte sie. Die Umarmung war freundschaftlich und tröstend. Bisher war Patrick der einzige Mann gewesen, der sie auf diese Art berührt hatte.
    »Er wusste, dass ich mich hier mit einem Indianer treffe«, begann sie langsam jene Gedanken auszusprechen, die sich in ihrem Kopf regten. »Aber er hat nicht nach ihm gesucht.«
    »Weil er mich nicht für eine ernste Gefahr hielt. Er hatte seine Waffe, er war stark.«
    Sanft schob er Alice wieder in die Ruine zurück, wo sie sich neben der zerbrochenen Figur auf den Boden setzten. Andrés streichelte weiter ihren Rücken, und sie schmiegte sich an ihn. Noch niemals zuvor hatte sie sich derart nach der Nähe eines anderen Menschen gesehnt.
    »Nun hat er keine Waffe mehr, und er ist verletzt. Er wird eine Weile Ruhe geben, denn im Dschungel hat er Angst vor meinesgleichen. Er geht wahrscheinlich davon aus, dass wir Indios uns hier so gut auskennen wie die Jaguare.«
    Alice sah ihn verwirrt an.
    »Aber das ist nicht so?«
    »Ich wuchs in den Bergen der Sierra Madre auf«, erzählte Andrés. »Dort gibt es keinen Dschungel. Später wurde unser ganzes Dorf gezwungen, an die Pazifikküste zu ziehen, um auf den Kaffeeplantagen arbeiten zu können. Dort ist das Klima ähnlich heiß wie hier, doch die Kaffeebarone haben dafür gesorgt, dass der Dschungel weitgehend verschwunden ist. Ein gewöhnlicher Tzotzil-Indianer kennt den Regenwald kaum besser als ein Ladino. Nur haben wir keine Schusswaffen, um uns gegen die Jaguare zu wehren.«
    Alice lachte. Die Öllampe brannte noch und verlieh Andrés’ Gesicht einen goldenen Farbton. Sie staunte, wie wohl sie sich in seiner Gegenwart fühlte, so als würde sie ihn schon seit vielen Jahren kennen. Ihre Hände zitterten, und jene Stellen ihres Körpers, wo Martins Schläge und Tritte sie getroffen hatten, schmerzten, doch allmählich gewann sie ihren inneren Frieden wieder.
    »Haben Sie die Steine geworfen?«, fragte sie. Er schüttelte den Kopf.
    »Ich hätte zu nah herankommen müssen, das ging nicht. So besann ich mich auf eine der ersten Erfindungen der Menschheit, die sowohl hier als auch im Rest der Welt entstand. Die Steinschleuder. Doch es dauerte eine Weile, bis ich eine geeignete Astgabel gefunden hatte und eine biegsame Liane. Dann galt es, eine Stelle vor der Ruine zu suchen, wo ich nicht zu sehen war, aber von der aus ich gut zielen konnte. Zum Glück hatte ich schon Übung. Als ich ein Junge war, schossen wir im Dorf gemeinsam um die Wette. Aber es tut mir schrecklich leid, dass es so lange dauerte.«
    Alice legte ihren Kopf an seine Schulter. Seltsamerweise erschien es ihr weder anrüchig noch unklug, sich derart zu verhalten. Hier im Dschungel galten andere Gesetze.
    »Ich verstehe. Aber Modesta … war es unmöglich, sie zu retten?«
    »Ich konnte mich nicht einfach auf ihn stürzen. Er hielt ein Messer an ihre Kehle, und außerdem trug er die Waffe. Wenn er mich umgebracht hätte, wärt ihr beide verloren gewesen.«
    Alice hatte Modesta nur kurz gekannt, doch sie ahnte, dass der Anblick eines Menschen, dem vor ihren Augen langsam alles Blut aus der aufgeschnittenen Kehle floss, sie bis an ihr Lebensende verfolgen würde. Außer ihr war nur Andrés Zeuge dieser Tat geworden. Und er hatte sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, um das ihre zu retten. Sie erschrak fast vor diesem Gedanken. Bisher hatte sie sich als Einzelwesen gesehen, das unabhängig vom Rest der Welt seinen eigenen Weg verfolgte. Doch war es wirklich möglich, sämtliche Bindungen zu meiden?
    Sie wusste keine Antwort.
    »Wir müssen damit rechnen, dass Martin mit Dr. Scarsdale redet«, erinnerte Andrés sie an dringlichere Probleme. Sie hob abwehrend die Hände.
    »Aber wenn ich erzähle, was er getan hat …«
    »Alice«, unterbrach Andrés sie, »der Mord an einer Indio-Frau wird den Archäologen nicht so erschüttern, wie Sie meinen. Immerhin führte sie Sie heimlich zu mir, und ich gelte als gesuchter Mörder. Wenn Dr. Scarsdale erfährt, was Sie hinter seinem Rücken getrieben haben, wird er Sie fortschicken. Und mich liefert er den Bohremanns aus, um es

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