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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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geborenen gezeugt wurden. In der ersten Zeit nach der Flucht aus dem Elternhaus hatte sie eine solche Enge bereits in billigen Herbergen erlebt, wo sie dank ein paar verkaufter Schmuckstücke untergekommen war. Später hatte sie bei einer der Kellnerinnen aus dem Café Josty gewohnt, die zwei uneheliche Kinder hatte und gelegentlich neue Liebhaber mit in die winzige Wohnung nahm. Ihr war eine fehlende Privatsphäre also nicht neu. Sie lauschte dem nächtlichen Seufzen und Schnarchen der schlafenden Menschen und sehnte sich nach der Nähe eines warmen Körpers, an den sie sich schmiegen könnte. Aber Andrés lag am anderen Ende der Hütte, und nicht einmal Mariana war bei ihr.
    Der Tag von einfachen Menschen begann früh. Alice wurde im ersten Morgengrauen von der jungen, hübschen Frau geweckt, die über sie hinwegstieg, um an einem Bach Wasser zu holen. Die alte Ix Chel machte sich bereits an den vom gestrigen Abend übrig gebliebenen Tortillas zu schaffen, die als Morgenmahl dienten. Sie wickelte einige von ihnen in Tücher und überreichte sie ihrem Sohn, der sie in sein Bündel packte. Die zwei kleinen Mädchen halfen wieder bei der Verteilung des spärlichen Essgeschirrs, als der Kazike sich mit langsamen Bewegungen aufrichtete. Seine Stellung und sein Alter schienen ihn von den meisten Arbeiten zu befreien. Zwar sprach die alte Ix Chel keineswegs demütig mit ihm, doch sie überreichte ihm seinen Teller mit Tortilla und auch einen Becher von dem Kaffee, den sie rasch auf der Kochstelle erhitzt hatte. Ihr Sohn und Andrés wurden ebenfalls bedient, erst danach hatten die Frauen Gelegenheit, sich selbst etwas zu holen. Alice beschloss, dass es ihr nicht zustand, diesen Umstand ärgerlich zu finden, sondern sie wartete geduldig, bis sie ihren Becher in den Händen hielt. Der Kaffee war ungefiltert, stark gesüßt und schmeckte leicht nach Zimt. Im Vergleich zu dem Getränk, das die Arbeiter im Lager erhalten hatten, war er geradezu paradiesisch. Alice knabberte an einer kalten Tortilla und spürte Andrés’ Blick auf sich ruhen. Er saß zwischen den zwei Männern, mit denen er sich angeregt unterhielt. Alice hatte er bisher kaum beachtet, seit sie die Hütte betreten hatten, doch nun schienen seine Augen sie zur Geduld zu mahnen. Sie begann zu ahnen, dass die Leute sich vielleicht erst einmal an ihre Anwesenheit gewöhnen mussten, bevor Andrés ihr Anliegen zur Sprache bringen konnte. Sie hatte kein Geld mehr, dass sie irgendjemanden anbieten konnte, um zu Ix Chel zu gelangen, sodass sie auf das Wohlwollen von deren Familie angewiesen war.
    Der Bruder jener Frau, derentwegen sie gekommen waren, hieß Manuel, das hatte Alice inzwischen mitbekommen. Gemeinsam mit seiner Gemahlin, deren Namen sie nicht kannte, machte er sich auf den Weg. Zuvor hatten sie wieder die ledernen Bänder um ihre Stirn gelegt, um ihre Bündel besser tragen zu können. Diese enthielten bemalte Töpferwaren und bestickte Kleidung, die von den Frauen in mühsamer Arbeit angefertigt worden waren, um im nächstgrößeren Ort verkauft zu werden. Kurz darauf stolzierte der Kazike mit seinem Stock hinaus. Andrés nutzte den frei gewordenen Raum, um unauffällig an Alice heranzurücken.
    »Es ist gar nicht so übel losgegangen«, flüsterte er ihr auf Englisch zu. »Ich glaube, die alte Ix Chel mag dich, und sie hat Einfluss auf ihren Mann, der wiederum Einfluss auf die anderen hier hat.«
    Alice lächelte.
    »Ich habe gestern Abend bereits erwähnt, dass du nach einem verschwundenen Mädchen aus diesem Dorf suchst«, fuhr er fort. »Sie haben nichts gesagt, aber ich glaube, sie können sich denken, um welches Mädchen es sich handelt.«
    Alice sah ihn ratlos an.
    »Dann wollen sie es mir nicht sagen. Ich meine, wenn sie wissen, wen ich suche, warum …«
    »Du musst ihnen Zeit geben«, sagte Andrés. »Wir haben im Laufe der Jahrhunderte gelernt, Ladinos zu misstrauen, uns ihnen gegenüber wie unterwürfige Idioten zu benehmen und alles, was an unserem Leben wichtig ist, vor ihnen zu verbergen, damit sie es uns nicht auch noch zerstören. Solche Lektionen vergisst man nicht so schnell. Es war schon ein großer Erfolg, dass sie sich gestern in deiner Gegenwart völlig normal benommen haben.«
    Alice ahnte, dass sie ohne seine Begleitung nicht einmal über die Schwelle der Hütte gelassen worden wäre, und gab alles Drängen auf.
    »Ich würde mich jetzt gern waschen«, sagte sie. »Und … und, also ich glaube, eine Toilette gibt es hier

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