Der Duft des Regenwalds
Schritte Richtung Tür.
»Er wollte zunächst auf Ihre Rückkehr warten und sich um den Hund kümmern. Aber als ich ihm genug Geld anbot, da ging er. Schlafen Sie eine Weile, Miss Wegener, danach fühlen Sie sich sicher besser.«
Er entfernte sich mit einem Kopfnicken. Alice blieb wie betäubt zurück. Marianas Schwanz klopfte aufgeregt auf den Boden, und die raue Hundezunge fuhr über Alice’ Hände.
»Wir müssen überlegen, was wir jetzt machen«, flüsterte Alice ihr ins Ohr. »Wie wir von hier wegkommen.«
Sie drückte den Hund an sich. Wieder einmal glaubte sie, dass es niemanden gab, auf den sie sich verlassen konnte.
Bei Einbruch der Dämmerung erschien Ricardo und stellte Alice eine Schüssel mit Tortillas hin.
»El doctor sagt, dass er beschäftigt ist und heute nicht mit Ihnen essen kann. Aber Sie können etwas von seinem Wein haben.«
Eine geöffnete Flasche und ein Glas wurden Alice überreicht. Sie bedankte sich höflich. All dies war ein Spiel, dessen Regeln sie nicht verletzen durfte. Solange sie sich nicht wie eine Gefangene benahm, sah Dr. Scarsdale vielleicht keinen Grund, sie als solche zu behandeln.
Als sie nachts versuchte, die Tür der Hütte zu öffnen, war sie verschlossen. Alice überlegte, dass sie vielleicht ein Loch graben könnte, um unter der Wand hindurchzukriechen, doch dies hätte sicher zu lange gedauert. Sie wusste auch nicht, was sie allein im Dschungel tun sollte. Den Weg nach Santo Dominge de Palenque würde sie niemals finden. Ihre einzige Chance war, Dr. Scarsdale davon zu überzeugen, dass er sie ohne Bedenken zu Hans Bohremann zurückschicken konnte.
In der Hoffnung, dies irgendwie schaffen zu können, fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
Am nächsten Morgen wurde sie früh geweckt und mit Tortillas und einem Becher Kaffee versorgt. Sie konnte sich am Bach waschen und in einem Gebüsch ihre Notdurft verrichten, doch Ricardo hielt sich immer in der Nähe auf. Anschließend forderte er sie auf, ihm zu Dr. Scarsdale zu folgen. Es ging die Stufen zum Tempel der Inschriften hinauf. Alice bemerkte, wie verlassen die Ruinenstätte im Vergleich zu früher wirkte, nun, da die Arbeiter fort waren. Doch die fünf Capataces standen zu Füßen der Stufen und beobachteten aufmerksam jeden ihrer Schritte. Sie wusste, dass jeder von ihnen eine Waffe trug und jeden Fluchtversuch verhindern würde. Ihr Magen war ein Ball aus Zorn, Angst und Unsicherheit, als sie Dr. Scarsdale gegenübertrat.
»Guten Morgen, Miss Wegener, ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.«
Er lächelte. Ihr fiel zum ersten Mal auf, dass seine Zähne gelb waren. Dabei rauchte er nicht einmal.
»Ja, es ging. Ich war froh, wieder in einer Hütte zu liegen.«
Das war nicht einmal gelogen.
»Ich möchte Ihnen die Fortschritte der Grabung zeigen«, erklärte der Archäologe und schickte Ricardo mit einer Handbewegung fort. Alice begann zu zittern, als sie mir Dr. Scarsdale allein zurückblieb.
Die Fortschritte bei der Grabung waren bescheiden. Vor ihrer Abreise mit Andrés hatte es ähnlich ausgesehen, nur ein paar wenige Steine mehr waren aus dem Boden entfernt worden. Der Archäologe musste die Arbeiten bereits eingestellt haben, nachdem sie mit Andrés verschwunden war. Vielleicht war es ohne Andrés nicht mehr gut vorwärtsgegangen. Wahrscheinlicher aber schien ihr, dass er andere Dinge im Kopf gehabt hatte.
»Ich glaube, dass die Priester der alten Maya gern hier oben standen, um auf die Stadt hinabzusehen. Der Ausblick ist großartig«, sagte Dr. Scarsdale. Er wies auf die Landschaft aus Büschen, Gras und Bäumen, die ebenerdig vor ihnen lag. Alice ließ ihren Blick schweifen, um ihn nicht zu verärgern. Der Dschungel hinter der Ruine war weitaus eindrucksvoller, doch auf dieser Seite konnte man besser in die Ferne sehen.
Sanft, fast zärtlich legten sich die Hände des Archäologen auf ihre Hüften. Alice lief ein Schauer über den Rücken, denn zunächst dachte sie an eine Berührung aus Verlangen. Aber dann spürte sie den Druck, der sie in Richtung der Stufen lenkte. Instinktiv stemmte sie die Fersen in den Boden, doch sie fand auf den steinernen Fliesen keinen Halt. Kraftvoll wurde sie vorwärtsgeschoben. Der Abgrund rückte immer näher. Sie ruderte mit den Armen, wollte um Hilfe schreien, doch ihre Lungen versagten. Es wäre ohnehin niemand gekommen. Die steilen Stufen tanzten vor ihren Augen, als es ihr gelang, zum Stillstand zu kommen. Sie schnappte japsend nach Luft, trat ein paar Schritte
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