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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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Himmel. Erstaunlicherweise fand sie diesen Gedanken beruhigend, als sei der Regenwald keine Bedrohung mehr für sie, sondern auch möglicher Schutz, da man sich gut in ihm verstecken konnte. Sie ließ sich zu Boden gleiten. Ricardo hielt ihr eine Wasserflasche hin, aus der sie gierig trank. Dann fütterte er sie mit einer Tortilla. Alice kaute wie ein fügsames Kind, denn sie musste essen, wenn sie bei Kräften bleiben wollte. Ihr fiel auf, dass Ricardo ihrem Blick auswich, was er von Anfang an getan hatte. Martin saß etwas weiter im Hintergrund, aß ebenfalls und nippte immer wieder an der Flasche mit Aguardiente, die er Ricardo abgenommen haben musste.
    »Wenn du Geld brauchst, kann ich dir mehr geben als er«, flüsterte Alice dem Jungen so leise wie möglich zu. »Ich bin reich.«
    Er schnaubte nur.
    »Reiche Ladino-Frau keine Indio-Hure.«
    Es war Andrés also nicht gelungen, die Beziehung zwischen ihnen geheim zu halten. Und er hatte recht gehabt. Sie sank dadurch im Ansehen seiner Leute, da sie sich nicht so verhielt, wie sie es von einer Frau ihres Standes erwarteten.
    »Geld habe ich trotzdem«, beharrte Alice.
    »Warum dann reisen auf Maultier? Schlafen im Wald?
    Alice seufzte.
    »Ich wurde entführt«, log sie, da ihr nichts Besseres einfiel. »Andrés wollte mich zu Hans Bohremann zurückbringen, um eine Belohnung zu bekommen. Wenn du es jetzt tust, dann …«
    »Hör auf, mit der Indio-Hure zu quatschen!«, brüllte Martin dazwischen. Ricardo erschrak und entfernte sich rasch. Alice sackte zusammen. Sie wehrte sich nicht einmal mehr, als ihr wieder der Sack über den Kopf gezogen wurde. Ihre Hoffnungen auf eine baldige Befreiung schwanden langsam. Andrés konnte nicht wissen, wo sie sich aufhielten. Sie musste irgendeine Möglichkeit finden, sich selbst zu helfen, doch mit gefesselten Händen und ohne etwas zu sehen, war es schwierig. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu warten, bis sie das Ziel dieser unfreiwilligen Reise erreicht hatte.
    Alice musste zwei Nächte in gefesseltem Zustand verbringen. Auch der Sack wurde ihr nicht abgenommen. Nur wenn sie zu essen bekam, durfte sie eine Weile die Umgebung betrachten. Manchmal führte Ricardo sie hinter einen Baum, damit sie ihre Notdurft verrichten konnte. Dabei wurde eine ihrer Hände befreit, doch hielt er den Strick, an den die andere gebunden war, fest umklammert. Den Sack durfte sie nur kurz nach oben schieben. Während sie auf dem Maultier saß, lauschte sie aufmerksam und hoffte, dass andere Reisende ihnen begegnen würden. Eine gefesselte Frau mit einem Sack auf dem Kopf musste Verdacht erregen. Doch nur ein einziges Mal vernahm sie Schritte dicht neben sich, die aus der entgegengesetzten Richtung kamen, sich aber einfach wieder entfernten. Vermutlich waren es Indianer, die niemals gewagt hätten, sich gegen einen Mann wie Martin zu stellen. Davon abgesehen, mochte das Schicksal einer fremden Frau ihnen gleichgültig sein.
    Am dritten Tag blieb das Maultier bereits kurz nach dem morgendlichen Aufbruch wieder stehen, und Alice wurde aus dem Sattel gehoben. Sie hörte, wie Martin sich entfernte, während Ricardo sie vor sich herschob. Obwohl sie nichts sehen konnte, spürte sie deutlich, dass sie einen geschlossenen Raum betrat. Sie streckte die Arme aus und ertastete Holz. Sie war in einer Hütte.
    »Setzen Sie sich hin, Señorita«, forderte Ricardo sie auf. Sein Ton war die meiste Zeit über respektvoll gewesen. Alice gehorchte. Sie spürte das Geflecht einer Petate unter sich.
    »Wo bin ich?«, fragte sie. Ricardo antwortete nicht, aber er löste die Fesseln an ihren Händen. Dann eilte er hinaus. Alice hörte eine Tür zufallen und staunte, wie still es plötzlich war.
    Sie zog den Sack von ihrem Kopf. Es tat gut, wieder sehen und frei atmen zu können. Eine Weile lag sie auf der Matte, und Tränen der Erleichterung liefen ihr über die Wangen. Dann betrachtete sie ihre Umgebung. Ein zerbeulter Koffer lag in der Ecke der Hütte, daneben stapelten sich ein paar Papiere mit Zeichnungen von Schriftzeichen und Ruinen. Eine Staffelei stand ein Stück neben ihr. Die Bilder waren immer noch so sorgfältig abgedeckt, wie sie sie vor ihrer Abreise zurückgelassen hatte.
    Es erleichterte Alice, wieder in ihrer Hütte in Palenque zu sein, obwohl es genug Gründe zur Sorge gab. Sie war nicht einmal überrascht. Im Grunde hatte sie die ganze Zeit geahnt, wer sie hatte entführen lassen. Als sie ein Kratzen und Bellen außerhalb der Hütte vernahm, rief

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