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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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konnte durchaus der Schädel eines toten Hasen sein. Auch andere Figuren waren Tierköpfe gewesen, wie sie es von den Götterfiguren der alten Ägypter kannte.
    »Vielleicht sollte es eine Gottheit darstellen«, rätselte sie herum, während sie den Skizzenblock und Bleistift entgegennahm, die Ricardo ihr gebracht hatte. Nun war ihre Aufmerksamkeit gefesselt, und sie machte sich mit Eifer an die Arbeit. Je länger sie den Totenschädel anschaute, desto weniger grässlich wirkte er, ja, er bekam geradezu skurrile Züge, als hätte sein Schöpfer dem Tod das Grauen nehmen wollen, indem er dieses Relief schuf.
    »Sie sind in der Tat eine begabte Künstlerin«, sagte Dr. Scarsdale. »Patrick hat nicht übertrieben, als er sagte, Sie wären weitaus besser als er selbst.«
    Alice verspürte einen Stich. Für einen Moment ließ sie den Zeichenblock sinken.
    »Ich versuche, von der Malerei zu leben, und habe daher weitaus intensiver geübt als mein Bruder«, erklärte sie. »Patricks Traum war die Archäologie. Er tat für Sie und Ihre Ausgrabungen hier, was er konnte.«
    Sie stellte besorgt fest, dass diese Worte hart geklungen hatten.
    »Nein, ebendas tat er leider nicht. Ich hatte große Hoffnungen in ihn gesetzt, doch er erwies sich als Enttäuschung«, erwiderte der Archäologe gelassen und setzte sich neben sie an den Fuß des Pfeilers. Alice erschauerte, denn seine Schulter berührte fast die ihre. Zum Glück wuchsen ein paar Sträucher in der Nähe, an denen sie sich vielleicht würde festkrallen können, falls er ihr einen Stoß versetzte. Doch er tat nichts dergleichen.
    »Es war nicht nur die Angelegenheit mit der Kette«, fuhr er fort, als wolle er ein vertrauliches Gespräch beginnen. »Über diese Sentimentalität beschloss ich hinwegzusehen, hoffte, er würde mit der Zeit zur Vernunft kommen. Falls das Schmuckstück tatsächlich Eigentum seiner Indianerin war, dann hätte er ihr ja einen Anteil ausbezahlen können. Unverzeihlich aber war sein Benehmen gegenüber Hans Bohremann. Er mischte sich in Angelegenheiten ein, die ihn nichts angingen, erreichte dadurch überhaupt nichts, außer einen einflussreichen Mann zu verärgern und unsere Arbeit hier zu gefährden. Hans Bohremann hätte nur mit ein paar Leuten reden müssen, und wir hätten keinen einzigen Arbeiter mehr aufgetrieben, wahrscheinlich hätte man uns sogar aus den Ruinen verjagt.«
    Alice legte die gerade begonnene Skizze zur Seite. Auf einmal war sie von der Unterhaltung noch mehr gefesselt als von dem Relief.
    »Meinen Sie wirklich, das hätte Hans Bohremann getan? Er scheint mir kein derart rachsüchtiger Mensch. Patrick hat ihn vermutlich verärgert, indem er seine Geschäftspläne kritisierte, aber allzu dramatische Folgen hätte das wohl kaum gehabt.«
    Sie fügte nicht hinzu, was sie sich außerdem dachte. Patricks empörter Auftritt vor dem Kaffeebaron hatte vermutlich nicht die geringste Wirkung gehabt, denn Hans Bohremann hätte sich die Aussicht auf gute Geschäfte sicher nicht durch die Vorwürfe eines Träumers verderben lassen, der sich in ein Indianermädchen verliebt hatte.
    »Das hoffte ich auch«, sagte Dr. Scarsdale und rieb sich die Schläfen. »Nachdem ich von Patricks Plänen erfahren hatte, brach ich sofort selbst zur Plantage auf, um einen möglichen Streit zu schlichten. Aber ich kam zu spät. Patrick befand sich bereits auf dem Rückweg. Da nur eine einzige Straße von der Hazienda zur Plantage führt, war es fast unvermeidlich, dass wir einander begegneten.«
    Alice erstarrte und wandte leicht den Kopf, um sein Profil mustern zu können. Er blickte starr auf die Landschaft zu Füßen der Pyramide. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, das einzige Anzeichen von Anspannung. Wollte er ihr jetzt tatsächlich erzählen, was in jener Nacht geschehen war? Und war es angesichts der Umstände nicht klüger, ihn an einem Geständnis zu hindern?
    »Ich wollte es nicht«, hörte sie ihn leise murmeln. »Ich wollte wirklich nicht, dass irgendjemandem ein Leid geschieht.«
    Alice legte den Skizzenblock auf den Boden. In ihrem Rücken kreischten ein paar Affen, was sie erschreckte.
    »Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass der Tod meines Bruders zunächst ein Unfall war«, bot sie Dr. Scarsdale eine Ausflucht an. Die nächste Frage, nämlich wer ihrem bereits toten Bruder das Herz herausgeschnitten hatte, vermied sie geflissentlich. Je mehr sie wusste, desto gefährlicher war sie für den Archäologen.
    »Ist es ein Unfall, wenn

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